[Kapitalmarkt-News vom 23. Januar 2020]

Fazit: Die Überprüfung der geldpolitischen Strategie der EZB steht zunehmend im Fokus der Analysten. Insbesondere die Möglichkeit, das Niveau oder die Definition des Inflationsziels zu verändern, schürt Spekulationen, die Überprüfung könne konkrete geldpolitische Folgen haben. Auch wenn Lagarde davor warnt, sind diese Spekulationen vor allem auf-grund der negativen Nebeneffekte der aktuellen geldpolitischen Ausrichtung und anhaltend negativer Renditen ange-bracht. Dies könnte in diesem Jahr zu höherer Volatilität auf den Renditemärkten führen.

EZB-Sitzung und heutige Pressekonferenz

Wie erwartet, hat die EZB ihren geldpolitischen Kurs nicht verändert. Die Zinsen bleiben bei den bekannten Niveaus von 0 % bzw. -0,5 % und das Aufkaufvolumen bei netto 20 Mrd. Euro pro Monat. Da die wirtschaftlichen Daten weder klare Anzeichen einer Erholung noch einer Abkühlung spiegeln, kommt die EZB aufgrund ihres unveränderten Kurses in keine Erklärungsnot, und sie sollte auch die Finanzmärkte nicht nennenswert überrascht bzw. beeinflusst haben. Die EZB betonte, dass die Euro-Wirtschaft trotz eines schwachen Industriesektors durchaus robust ist, wie der Arbeitsmarkt und der private Konsum andeuten. Das konjunk-turelle Risiko ist jedoch weiterhin nach unten gerichtet, auch wenn nicht mehr so ausgeprägt, wie es in der letzten Sitzung formuliert wurde. Die Kreditnachfrage bis auf Immobilienkredite hat sich etwas abgeschwächt. Insgesamt muss, so Lagarde, die Geldpolitik weiterhin und noch auf Sicht äußerst unterstützend bleiben. In gewohnter Weise betonte die EZB die Notwendigkeit weiterer struktureller Reformen.

In der Pressekonferenz lag der Fokus verstärkt auf der angekündigten strategischen Überprüfung der EZB-Politik. Da die EZB den Prozess erst startet, war in der heutigen Sitzung mit keinen konkreten Ergebnissen zu rechnen. Allerdings hat sich die EZB zum Zeitplan und Umfang der Überprüfung geäußert. Infolge der strategischen Überprüfung, die auch die Überprüfung des Infla-tionsziels einschließen wird, sollten 2020 Spekulationen über eine mögliche Zielanpassung der EZB zu einem präsenten Thema werden. Eine perspektivische Senkung des Inflationsziels würde jedoch nicht automatisch eine Normalisierung der Geldpolitik bedeuten. Entscheidend ist nicht das aktuelle Zinsniveau, sondern eher, was ein Anstieg der Zinsen für die Wirtschaft der Euro-Zone bedeuten würde. Lagarde warnte jedoch, keine konkreten Rückschlüsse über mögliche Implikationen vor Beendigung der Überprüfung Ende 2020 zu machen.

Meinung zur Geldpolitik: Konditionsloses Inflationsziel sorgt für Instabilität

Mit der Überprüfung der EZB-Strategie in einem „strategic review“ hat die EZB eine Diskussion angestoßen, wie angemessen ihr Inflationsziel ist. Alternative Inflationsziele bzw. ein niedrigeres Zielniveau sind denkbar. Sicherlich ein Grund für diese Überlegun-gen ist, dass die EZB ihr Inflationsziel seit 2013 nach unten verfehlt hat und dieses Ziel somit nicht als zur Realität symmetrische Inflationserwartung gesehen werden konnte. Die Prognosen der EZB deuten erst am Horizont auf eine Annäherung an die Ziel-größe von knapp unter 2 % an. Für das Jahr 2020 geht die EZB noch von einer Inflationsrate von 1,1 % aus, im Jahr 2021 erwartet sie 1,4 % und 2022 rechnet sie mit einer Inflationsrate von 1,6 %. Sie erwartet demnach trotz der anhaltenden geldpolitischen Lockerung keine kurzfristige Zielerreichung. Die durchschnittliche Inflationsrate zwischen 2013 und 2019 lag sogar nur bei 1 %.
Damit könnte die Geldpolitik als nicht ausreichend expansiv angesehen werden: Da das Ziel noch immer nicht in sichtbare Nähe gerückt ist, bedarf es zusätzlicher Anstrengungen. Dies würde jedoch eine anhaltend negative, extreme Zinspolitik mit sich bringen. Alternativ wäre eine Senkung des Zielniveaus denkbar: Nicht die Geldpolitik müsste sich dann anpassen, um das Ziel zu erreichen, sondern das Ziel würde angepasst, um Raum für eine Geldpolitik zu schaffen, die weniger negative Nebeneffekte mit sich bringen würde. Dies ist notwendig, weil das aktuelle Ziel den Einfluss der Notenbankpolitik auf die Wirtschaft nicht ausreichend abbildet. Schließlich führte die EZB-Politik in manchen Assetklassen wie Immobilien sehr wohl zu Inflationsentwicklungen.

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Sicherlich gibt es unterschiedliche Berechnungen der Inflation. Geht es um Preise für produzierte Güter im Inland, wäre der BIPDeflator sinnvoll. Bei konsumierten Gütern wäre der Deflator des privaten Verbrauches angebracht. Ob Verbraucherpreisindex (VPI) oder -deflator, beide fokussieren sich auf Konsumgüter und weniger auf Vermögenspreise. Häuserpreise spielen nur über ihren Einfluss auf Mietpreise eine Rolle. Wohnungsmieten sind mit 21 % der größte Einzelposten bei der VPI-Berechnung (10,4% im HVPI). Allerdings hat die Erhebung nicht die Neuvermietung, sondern den Durchschnitt im Fokus: Nicht die Mieten in Folge eines neuen Einzugs stehen im Fokus, sondern die aus einer repräsentativen Stichprobe aller Mieten. Damit wird wenig ausgesagt, wie es um die Mietpreisentwicklung für Wohnungssuchende steht.

Mögliche Verteilungseffekte der Notenbankpolitik wie zunehmende Immobilienkredite oder negative Bundrenditen sind nicht ausreichend im Inflationsziel berücksichtigt. Denn gerade in Zeiten einer außerordentlich expansiven geldpolitischen Ausrichtung löst die Notenbank bedeutende Verteilungseffekte aus – zwischen Schuldnern und Gläubigern, Mietern und Eigentümer, aktuellen und zukünftigen Generationen. Ein uneingeschränkter geldpolitischer Fokus auf eine Einflussgröße – die Inflation – ist demnach suboptimal: Um das Inflationsziel zu erreichen, kann die EZB-Politik bedeutende negative Nebeneffekte mit sich bringen, die nicht in der Reaktionsfunktion der Notenbank einfließen. In einem „normalen“ Umfeld von Inflation und Zinsen sollte dies weniger bedeutend sein. In einem Umfeld jahrelang negativer Zinsen allerdings schon. So sollte das Mandat der Notenbank auch immer einen gewissen Handlungsspielraum lassen.

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Wenn nur die EZB handlungsfähig bzw. handlungsbereit ist, kann dies zu einer extremen Politik führen, da sie „überkompensieren“ muss. Dies gilt vor allem für Zielgrößen, die die Notenbank nicht alleine und vollständig kontrollieren kann. Die Investitionsdynamik in der Euro-Zone ist hierfür ein Beispiel. Niedrige Zinsen haben einen positiven Einfluss auf Investitionen. Andere Faktoren wie Vertrauen bzw. Zuversicht und Wirtschaftswachstum sind allerdings ebenfalls bedeutend, wenn nicht bedeutender. Springen mangels fehlender Reformen und anhaltender Zweifel über die Zukunft der Euro-Zone Investitionen nicht ausreichend an, bringt dies die Notenbank in die prekäre Lage, dass sie durch deutliche Zinssenkungen versuchen muss, andere Einflussgrößen zu „übertönen“. Gleiches gilt für die Inflationsrate, denn auch sie wird von vielen Faktoren bestimmt, über die die Notenbank nur begrenzten Einfluss hat. Hierzu zählt die allgemeine Geldmenge. Die EZB hat zwar ihre Bilanzausweitung vollständig unter Kon-trolle, das allgemeine Geldmengen- bzw. Kreditwachstum jedoch weniger. Seit Jahren kommt beides in der Euro-Zone nicht aus-reichend in Gang, um ein höheres nominales BIP-Wachstum und damit auch eine ausreichend hohe Inflationsdynamik zu erzeu-gen. Störgrößen wie Vertrauenseinbruch, hohe Verschuldung sowie eine schwache Investitionsdynamik verhindern den unter „normaleren Umständen“ zu erwarteten Einfluss der Zinsen.

Einschätzung: Das Niveau des EZB-Inflationsziels zu senken, um damit eine „normalere“ Geldpolitik zu ermöglichen, adressiert nicht das eigentliche Problem: Die Geldpolitik ist um einiges effektiver darin, Inflation und Wachstum zu bremsen als anzukurbeln – sie ist wie eine Schnur, an der man ziehen kann, die sich aber kaum schieben lässt. Es ist daher erforderlich, dass andere Einflussfaktoren in der Wirtschaft den Einfluss der Zinsen stärken. Das Ziel der Notenbank muss deshalb im Kontext ihrer Effekti-vität definiert werden. Die EZB sollte deshalb pragmatisch eine breite Inflationsspanne verfolgen oder auf ein Inflationsziel ganz verzichten.

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