[Kapitalmarkt-News vom 16. März 2023]
Fazit: Geldpolitik kann destabilisierend wirken, wenn nach Jahren niedriger Zinsen eine geldpolitische Wende notwendig ist. Denn um dann eine eskalierende Inflation in den Griff zu bekommen, können drastische Zinsanhebungen nötig sein. Die Folgen solch einer Entwicklung zeigen sich gerade in einem höheren systematischen Risiko des Bankensektors; eine Situation, die eher mit jener in den USA Anfang der 80er Jahre zu vergleichen ist als mit der Finanzkrise.
Die aktuelle Volatilität ist jedoch kein Grund, Zinsstraffungen zu verlangsamen, auch wenn die Finanzmärkte wieder einmal auf die Notenbanken schauen. Entscheidend ist, die Inflationsdynamik zu brechen, um mittelfristig den Raum für beständige reale Zinsen bzw. eine stabilisierende Geldpolitik sicherzustellen. Auch wenn sich das Prognoserisiko sicherlich erhöht hat, ist dennoch davon auszugehen, dass die EZB mit ihrer Zinsstraffung noch nicht am Ende ist. Die IKB erwartet Mitte 2023 einen Einlagenzins zwischen 3,5 und 4 %.
Turbulenzen im Bankensektor – Folge einer disruptiven Geldpolitik
Sorgen vor einer erneuten Bankenkrise scheinen sich aktuell zu festigen, nachdem Banken in den USA und Europa im Schieflage geraten sind. Finanzinvestoren suchen deshalb einmal mehr einen sicheren Hafen und blicken auf die Notenbanken. Die Erwartung vor der heutigen EZB-Sitzung war, dass diese bei ihrer Zinsstraffung einen Gang zurückschalten, um das Bankensystem zu stützen bzw. nicht noch mehr zu belasten.
Auf der anderen Seite erfordert die hohe Inflation eine weitere Straffung der Geldpolitik. Wenn die Notenbank bei der Inflationsbekämpfung nicht konsequent bleibt, sind später noch höhere Zinsen notwendig, und die Probleme der Banken werden sich infolge steigender Zinsen noch verschlimmern.
Allerdings könnte auch eine Bankenkrise die Konjunktur derart belasten, dass die Notenbankpolitik Rückenwind im Inflationskampf erhält. Rohstoffpreise sind bereits unter Druck geraten, da sich die globale Konjunktur eintrübt. Dies mag allerdings nur von kurzer Dauer sein, vor allem wenn sich das Finanzsystem als robust erweist, und wenn Notenbanken, wie im aktuellen Fall in der Schweiz, schnell Lösungen finden. Doch auch wenn die Realwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wird, ist das nicht unbedingt Grund genug, den anvisierten Pfad der geldpolitischen Straffung zu verlassen. Denn die Fiskalpolitik wird weiterhin versuchen durch höhere Staatsausgaben die konjunkturellen Folgen für die Realwirtschaft abzumildern, was der Geldpolitik entgegenwirkt.
Ohne Zweifel hat das systematische Risiko im Bankensektor der USA sowie der Euro-Zone zugenommen. Denn mit steigenden Zinsen verlieren insbesondere Portfolien mit langläufigen Anleihen an Wert. Dies gilt selbst für Notenbanken. So meldete die Bundesbank jüngst Verluste infolge zunehmender Bewertungsabschreibungen auf deutsche Staatsanleihen, die sie aufgrund verschiedener Ankaufprogramme aufgebaut hatte. Nach Jahren einer stabilen und außerordentlich expansiven Geldpolitik ist es die drastische Zinswende, die nun einige Finanzinstitute auf dem falschen Fuß erwischen könnte. So hat die Fed in nur einem Jahr ihren Leitzins von 0 auf fast 5 % angehoben, ein deutlicherer Anstieg als im Vorfeld der Finanzkrise. Dieses kräftige Umlenken ist die Folge der überraschenden Inflationsentwicklung, aber auch eines anfänglich zögerlichen Verhaltens der Notenbanken. Dies gilt vor allem für die EZB. Da ein zögerliches Verhalten womöglich zu noch höheren Zinsen in der Zukunft führen kann und es effektivere Mechanismen zur Bankenstützung gibt, bleibt trotz der jüngsten Bankturbulenzen kein Raum für die EZB, bereits jetzt die Zinserhöhungen zu verringern.
Ein Vergleich mit der Bankenkrise 2008/09 ist unangebracht. Damals hatten die Portfolien, die durch Derivatestrukturen um ein Vielfaches aufgebläht wurden, reale Verluste generiert und für hohe Unsicherheit gesorgt, da nicht klar war, wer und in welchem Maße von toxischen Assets betroffen war. Die aktuelle Situation ist eher mit jener Anfang der 80er Jahre zu vergleichen oder mit Phasen, als nach Jahren einer expansiven Geldpolitik eine drastische Neuausrichtung notwendig war. Eine extreme geldpolitische Veränderung, insbesondere eine Straffung, bringt disruptive Folgen für Finanzmärkte sowie für die Realwirtschaft mit sich. Anfang der 80er Jahre hatte die Fed angesichts einer eskalierenden Inflation und einer über Jahre lockeren Geldpolitik die Zinsen drastisch angehoben. Dies senkte zwar die US-Inflation deutlich. Allerdings wertete der US-Dollar infolge der hohen US-Zinsen deutlich auf und leitete damit die südamerikanische Schuldenkrise ein. Die hohen Zinsen – auch wenn sie relativ schnell wieder gesenkt wurden – hatten zudem zur amerikanischen Sparkassenkrise „Saving and loan crisis“ geführt. Aufgrund der steigenden Zinsen ergab sich eine Diskrepanz bei US-Finanzinstituten, die langläufige Immobilienkredite vergaben und sich durch Einlagen kurzfristig finanzierten, deren Zinssatz vom Fed-Zinssatz abhängt. In Folge wurden zwischen Mitte der 80er und 90 Jahre rund 1000 solcher Institute abgewickelt. Die Kosten für den US-Steuerzahler wurden auf rund 130 Mrd. USD geschätzt.
Aktuell sind das Problem nicht faule Kredite oder Portfolien, die in Bankbilanzen schlummern und einen systematischen Vertrauenseinbruch verursachen können, sondern die disruptiven Folgen einer drastischen geldpolitischen Wende. Während die Notenbank in der Finanzkrise durch Zinssenkungen eine stabilisierende Rolle einnehmen konnte, bereitet sie den Finanzinstituten aktuell eher in Probleme. Eine wichtige Stütze während der Finanzkrise war vor allem das „billige Geld“ der Notenbanken. Dies kann bei der aktuellen Inflationsentwicklung nicht wiederholt werden.
Was heißt dies nun für die Geldpolitik?
Grundsätzlich haben die Notenbanken das Problem, dass die Inflation vor allem in Europa weitere Zinsanhebungen erfordert, die disruptiven Effekte dadurch aber verstärkt werden, was wiederum das Finanzsystem und damit auch die Konjunktur belasten könnte. Allerdings steht die EZB mit dem Rücken zur Wand. Ihre Haltung „zu niedrige Zinsen für zu lange“ zwingt sie nun zur schnellen Korrektur des Zinsniveaus. Damit das lange Ende der Zinskurve aufgrund steigender Inflationsprämien nicht deutlich ansteigt bzw. damit die Zinskurve sehr steil wird, ist dieses Handeln notwendig und sinnvoll. Die EZB muss sicherstellen, dass Inflationserwartungen fest verankert sind – gerade, wenn es darum geht, die Schuldentragfähigkeit der Euro-Staaten zu stützen. Diese brauchen höhere und nicht niedrigere Zinsen am kurzen Ende, damit sich am langen Ende der Zinskurve niedrige reale Renditen ergeben. Erst mit einem klaren Abklingen des deutlich unterschätzen Inflationsdrucks ergibt sich Raum für eine Gegenbewegung bei den europäischen Zinsen. Dies mag allerdings erst im Verlauf von 2024 der Fall sein.
Das Risiko für das Finanzsystem hat zugenommen. So besteht wieder einmal die Gefahr, dass die Notenbankpolitik, die eigentlich ein Anker der Stabilität sein soll, zu einem destabilisierenden Faktor wird. Doch Notenbanken dürfen nicht deshalb das Handtuch werfen und den Fokus der Zinspolitik erneut auf das Finanzsystem legen. Vielmehr muss die Inflationsdynamik noch im Fokus stehen, vor allem angesichts des aktuellen Zinsniveaus in der Euro-Zone. Wenn nötig, müssen andere Rettungsmaßnahmen als das Zinsinstrument müssen im Vordergrund stehen. Nicht die Renditen des Finanzsystems gilt es zu schützen, sondern die systematischen Risiken zu adressieren. Dies könnte sogar die Resilienz des Finanzsystems perspektivisch stärken. Denn der seit rund 40 Jahren bestehende Glaube, die Notenbanken werden den Finanzmärkten zur Hilfe eilen, wann immer es nötig ist, gilt nur noch eingeschränkt, auch wenn kurzfristig sicherlich die Volatilität zulegen dürfte. Aus dieser Sicht sind sowohl der aktuelle Zinsschritt von 50 bp wie auch weitere Zinsanhebungen in den kommenden Monaten zu begrüßen. Die konjunkturelle Eintrübung in Kombination mit einer Notenbank, die aktuell nicht lockerlässt, stärkt die Erwartung einer sinkenden Inflation sowie erster Zinssenkungen im Jahr 2024.
EZB-Prognosen, Zinsanhebungen und weitere Punkte aus der Pressekonferenz
- Die EZB betont, zur Sicherung der Finanzstabilität stünden weitere Instrumente als nur Zinsen zur Verfügung und sie sei bereit Liquidität bereitzustellen, wenn es nötig wäre – wie schon in früheren Phasen. Die EZB sieht keinen Konflikt zwischen Inflationsbekämpfung und Sicherung der Finanzstabilität.
- Die EZB geht für 2023 von einem positiven BIP-Wachstum in der Euro-Zone von rund 1 % aus. In den folgenden Jahren wird von einem moderaten Wachstum von 1,6 % ausgegangen. Die schwache Dynamik wird auf die geldpolitische Straffung zurückgeführt. Die EZB erwartet, dass der Arbeitsmarkt robust bleibt und die Löhne steigen werden, was den privaten Konsum stützen sollte. Für die Inflation geht die EZB von 2,1 % im Jahr 2025 und knapp unter 3 % im Jahr 2024 aus. Weitere Zinsanhebungen scheinen hierfür nötig zu sein.
- Die EZB-Politik bleibt datenabhängig, was im aktuellen Umfeld erhöhter Volatilität besonders hervorzuheben ist und auf eine Zunahme des Prognoserisikos bei den Zinsen hindeutet. Entscheidend für den Zinsausblick bleibt jedoch die Inflation. Deshalb geht die IKB von weiteren, wenn auch kleineren Zinsschritten im zweiten Quartal 2023 aus, sofern es zu keinen weitreichenden Disruptionen im Bankensektor kommt. Der Einlagenzinssatz der EZB liegt nun bei 3,0 %. Die IKB erwartet für Mitte 2023 einen Einlagenzins zwischen 3,5 und 4 %.
- Die EZB hebt drei Parameter für ihre geldpolitische Entscheidung hervor: Datenentwicklung, Inflationsdynamik und die Effektivität des geldpolitischen Transmissionsmechanismus. Letzterer wird maßgeblich durch die Fiskalpolitik beeinflusst.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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