Die EZB hält ihren Kurs der graduellen Normalisierung der Geldpolitik bei und bestätigt damit die breite Konsenserwartung eines Einlagenzinssatzes von um die 2 % Mitte 2025. Was danach kommt ist jedoch angesichts lokaler wie globaler Unsicherheiten weniger klar. Auch ist nicht eindeutig, wo der neutrale Zinssatz mittelfristig liegen wird. Deshalb ist der Raum für Zinssenkungen im Jahr 2025 auf unter 2 % begrenzt, wenn auch nicht ausgeschlossen. Spürbar sinkende langläufige Bundrenditen bleiben hingegen unwahrscheinlich.

Die EZB betont stets, dass sie keine Zinsprognosen abgeben, sondern in Abhängigkeit neuer Daten und möglicher Überraschungen reagieren wird. Dennoch besteht ein breiter Konsens, der den Leitzins Mitte 2025 bei seinem neutralen Niveau sieht. Dieses Niveau liegt laut jüngster EZB-Studie zwischen 1,75 % und 2,25 %. Äußerungen von Notenbankern bestätigen diese Einschätzung und lassen erwarten, dass die EZB graduell, aber beständig eine neutrale geldpolitische Ausrichtung anstreben wird. So ist bei jeder Sitzung bis Juni mit einer Zinssenkung von 25 bp auszugehen.
Die Notwendigkeit einer neutralen geldpolitischen Ausrichtung bleibt bestehen. Noch liegen Wachstumsprognosen für die Euro-Zone unter dem Potenzialwachstum, und der Geldmengenanstieg bleibt eher moderat. Auch deutet der jüngste Bank Lending Survey auf eine zunehmende Risikoaversion der Banken hin – zumindest bei Unternehmenskrediten. Die Vergabe von Immobilienkrediten erholt sich hingegen bereits wieder – von der Nachfrage her wie aus Sicht der Banken. Die Risikoeinschätzung für Unternehmen ist hingehen weiterhin von der Sorge über steigende Insolvenzraten geprägt.
Die Zinssenkungen der EZB haben sich relativ schnell auf dem Immobilienmarkt bemerkbar gemacht, wo die sinkenden langläufigen Renditen bereits zu einer Erholung der Häuserpreise 2024 geführt haben. Für eine spürbare Belebung der Unternehmenskredite bedarf es dagegen mehr. Nur eine überzeugende Konjunkturerholung wird zu einer nennenswert positiveren Risikoeinschätzung der Banken führen. Zinssenkungen allein werden hierfür nicht ausreichen, insbesondere bei den graduellen Schritten der EZB. Insgesamt geben die Geldmengenaggregate weiterhin keinen Anlass zur Sorge vor einer perspektivischen Überhitzung der europäischen Wirtschaft.
Auch aktuelle Konjunkturdaten lassen wenig Zweifel daran, dass die EZB zügig auf ein neutrales Zinsniveau kommen sollte. Doch wie wird es ab Mitte 2025 weitergehen? Wieviel Raum hat die EZB mit Blick auf 2026, die Zinsen weiter zu senken und eine expansive Geldpolitik zu verfolgen? Sollte die Konjunkturerholung etwas dynamischer verlaufen und Prognosen für 2026 womöglich nach oben revidiert werden, gibt es wenig Argumente für Zinssenkungen auf unter 2 %. Dies gilt insbesondere, wenn die Inflationsentwicklung hin zum 2 %-Ziel weniger überzeugend verläuft und die Fiskalpolitik in der Euro-Zone im Jahr 2026 erneut expansiv ausgerichtet sein könnte. Zudem bleibt die Kerninflationsrate immer noch über dem Inflationsziel. Grundsätzlich bleibt unsicher, wo der neutrale Zinssatz in Zukunft liegen wird. Sollten sich die Inflationssorgen vieler Analysten bewahrheiten, könnte dieser eher über als unter 2 % liegen.
Grundsätzlich herrscht eine erhöhte Unsicherheit über den globalen Konjunkturverlauf und die inflationären Konsequenzen einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Auch die Klimaziele und der damit einhergehende CO2-Preisanstieg wird für einen höheren Preisdruck sorgen. Doch solange die Geldmenge und die Haushaltsdefizite der EU keine spürbaren Anstiege aufweisen, sollte das Inflationsrisiko auch im Jahr 2026 eher überschaubar bleiben. Die IKB erwartet daher, dass die EZB in der zweiten Hälfte 2025 den Einlagenzins auf unter 2 % senken wird – wenn auch begrenzt. Wie lange sich dieser dort halten wird, und auf welches ultimative Niveau er sinken könnte, bleibt beim aktuellen Datenstand und den vielen Risiken hingegen unsicher. Somit besteht weiterhin wenig Raum für langläufige Bundrenditen von unter 2 %. Senkt die Fed unerwartet deutlich ihren Zins, so würde dies Druck auf US-Renditen ausüben. Doch die europäische Konjunktur müsste sich eintrüben, damit die EZB spürbar unter 2 % gehen kann und so den Druck auf fallende Bundrenditen erhöht. Dies wird durch aktuelle Prognosen nicht bestätigt.
Ausgewählte Kommentare aus der heutigen EZB-Pressekonferenz:
- Der Einlagenzinssatz wird auf 2,75 % gesenkt. Tilgungsbeträge von Wertpapieren werden nicht wieder angelegt. Die Möglichkeit von Interventionen infolge von Disruptionen auf den Kapitalmärkten besteht weiterhin. Die heutige Entscheidung war einstimmig.
- Die EZB sieht weiterhin die Inflationsrisiken auf dem Rückzug und die Gefahr von Zweitrundeneffekte begrenzt. Vor allem der Lohndruck sollte nachlassen. Allerdings betont die EZB die hohe Unsicherheit, die vor allem bzgl. realwirtschaftlicher Prognosen nach wie vor besteht. Sie sieht das Prognoserisiko für die Realwirtschaft klar nach unten gerichtet. In diesem Zusammenhang betrachtet die EZB ihre eigene Geldpolitik als ein mögliches Wachstumsrisiko – auch weil die geldpolitische Ausrichtung immer noch restriktiv ist (EZB-Zins liegt über dem neutralen Zinssatz).
- Präsidentin Lagarde geht davon aus, dass die Wirtschaft kurzfristig schwach bleiben wird, aber der mittelfristige Ausblick positiv ist. Sie verweist jedoch auch auf die Risiken von höheren Zöllen und auf die im Draghi-Report betonte Notwendigkeit deutlich höherer Investitionen.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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