[Kapitalmarkt-News vom 6. Juni 2024]
Fazit: Wie erwartet, hat die EZB ihre Zinsen um 25 bp gesenkt. Der Einlagenzins liegt nun bei 3,75 %. Weitere Zinssenkungen sind im laufenden Jahr 2024 zu erwarten, auch wenn sich die europäische Konjunktur weiter erholen wird und die EZB ihre Inflationsprognosen leicht nach oben angepasst hat. Für 2025 ist das Bild jedoch weniger eindeutig. Denn viele Unsicherheiten, wie mögliche Zweitrundeneffekte, ein grundsätzlich höherer Gleichgewichtszinssatz oder globale Entwicklungen könnten die EZB zu einer Pause bei einem Einlagenzins von um die 3 % nötigen. Da die Zinsstrukturkurve dann immer noch invers wäre, würde sich wenig Raum für spürbar niedrigere langfristige Renditen ergeben.
Wie erwartet, hat die EZB ihre Leitzinsen um 25 Basispunkte (bp) gesenkt. Der Einlagenzinssatz liegt somit bei 3,75 %. Obwohl die Notenbank wieder einmal betonte, dass ihre Zinspolitik auch zukünftig von der Datenlage abhängig sei, kann dennoch von weiteren Zinssenkungen um insgesamt 50 bp bis 75 bp im Jahr 2024 ausgegangen werden. Denn der Raum für eine Normalisierung der Zinspolitik besteht unabhängig von der aktuellen Datenentwicklung – zumindest im laufenden Jahr. Aber mit einer sich erholenden europäischen Konjunktur kann sich der Handlungsspielraum im Jahr 2025 einschränken. Der Zinsausblick für das kommende Jahr ist demnach um einiges unsicherer. Zum einen gibt es unterschiedliche Inflationsprognosen, insbesondere was das Ausmaß von Zweitrundeneffekten durch die Lohnentwicklung betrifft. Zum anderen sollte der EZB-Leitzins Ende 2024 noch kein Niveau erreicht haben, das eine extreme geldpolitische Ausrichtung andeutet. Hier bleibt allerdings entscheidend, welcher Gleichgewichtszinssatz angenommen wird.
Grundsätzlich wird für die Euro-Zone von einem höheren mittelfristigen Zinssatz ausgegangen. Denn anders als vor der Corona-Pandemie stehen nun eher Inflations- als Deflationsrisiken im Fokus. Damit Preisschocks zu keiner zunehmenden Inflationsdynamik führen, ist deshalb ein höherer Zinssatz nötig. Während nach der Euro-Krise im Umfeld einer niedrigen Inflationsrate unter dem EZB-Inflationsziel der reale Gleichgewichtszinssatz eher negativ gesehen wurde, deuten aktuelle Schätzungen auf ein Niveau von 0 % oder sogar höher hin. Mit einer mittel- bis langfristigen Inflationsrate von 2 % würde dies für den Einlagenzins der EZB ein Niveau von um die 2 % bedeuten. In diesem Fall würde sich die aktuell inverse Zinskurve vor allem durch das kurze Ende normalisieren und das Korrekturpotenzial am langen Ende wäre zurzeit überschaubar. Allerdings sehen die wenigsten Prognostiker bereits im Jahr 2025 Raum für eine Zinssenkung auf 2 %.
So wird mit einer Zinssenkungspause der EZB gerechnet; es sei denn, der wirtschaftliche Ausblick trübt sich deutlich ein, was aktuell eher nicht erwartet wird. Vor allem die Sorge vor Zweitrundeneffekten dürfte die EZB bei einem Zinssatz von um die 3 % pausieren lassen. Bei solch einem Niveau wäre die Zinskurve allerdings immer noch invers. Hinzu kommt die Gefahr, dass sich vor dem Hintergrund einer höheren Inflation und einer pausierenden EZB die Einschätzung auf den Finanzmärkten festigt, die Zinsen könnten auch mittelfristig höher bleiben. Die Erwartung eines erhöhten Gleichgewichtszinssatzes birgt wiederum das Risiko von steigenden Renditen und damit einer Normalisierung der Zinskurve – vor allem durch das lange Ende. Dies gilt im Übrigen auch für die Sichtweise, bei der eher eine mittelfristig höhere Inflation als ein höherer Zinssatz gesehen wird. Denn eine höhere Inflation bedeutet eine höhere Inflationsprämie und damit steigende reale Renditen. Da eine höhere Inflation jedoch immer eine geldpolitische Entscheidung ist, ist diese Sichtweise angesichts des Inflationsziels nicht nachvollziehbar. Zudem würde eine höhere Inflation mit steigenden realen Zinsen die Schuldentragfähigkeit der Euro-Staaten belasten.
Einschätzung der IKB:
Die EZB hat auch nach der Zinssenkung um 25 bp weiter Raum, ihre Geldpolitik zu normalisieren, was auf weitere Zinssenkungen im Jahr 2024 deutet. Im Jahr 2025 besteht jedoch ein erhöhtes Risiko, die geldpolitische Lockerung voranzutreiben. Denn noch besteht Unsicherheit über die ultimativen Risiken aus Zweitrundeneffekten, vor allem im Umfeld einer sich abzeichnenden konjunkturellen Erholung. Auf der anderen Seite mag eine überraschend deutliche Abkühlung der US-Wirtschaft dem Euro-Wechselkurs Auftrieb und der EZB weiteren Raum für Zinssenkungen geben. Wir erwarten deshalb Anfang 2025 einen Einlagenzins von 3,00 % bzw. 3,25 %, gefolgt von einer Zinspause der EZB. Zwar werden langläufige Bundrenditen von sinkenden US-Renditen profitieren. Die erwartete Pause der EZB könnte allerdings für Auftrieb sorgen. Die Volatilität am langen Ende sollte hoch bleiben.
Weitere Punkte aus der Pressekonferenz:
- Die EZB bestätigt eine aufhellende Konjunktur. Sie erwartet ein BIP-Wachstum der Euro-Zone von 0,9 % im Jahr 2024 und 1,4 % im Jahr 2025. Für die Inflation geht sie 2025 im Durchschnitt von 2,2 % aus. Damit dürfte die Inflationsrate bis weit ins nächste Jahr über dem Zielwert bleiben.
- Die leicht nach oben revidierten Inflationsprognosen sollten nicht überwertet werden. Denn selbst ein Einlagenzins von 3 % würde immer noch eine eher restriktive bzw. neutrale geldpolitische Ausrichtung andeuten. Raum für eine Normalisierung besteht im laufenden Jahr nach wie vor.
- Grundsätzlich betont die EZB, weiterhin von aktuellen Datenentwicklungen getrieben zu sein und kein konkretes Zinsniveau im Fokus zu haben. Dies bestätigt ein erhöhtes Risiko bezüglich der Zinsentwicklung im Jahr 2025; aber auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die EZB erst im Fall einer klaren Datenlage bezüglich sinkender Inflationsrisiken die Zinsen über den Normalisierungsprozess hinaus senken wird. Hierfür scheint auf Grundlage der aktuellen Inflations- wie Konjunkturprognosen für das Jahr 2025 kaum Raum zu bestehen. Allerdings sieht die EZB erhöhte Risiken für das Wachstum – zumindest mittelfristig.
- Die EZB hat eine Reduzierung ihres PEPP-Anleihebestands von monatlich 7,5 Mrd. € für die zweite Jahreshälfte 2024 in Aussicht gestellt.
- Die EZB ist zuversichtlich bzgl. des zukünftigen Inflationsverlaufs. Der Grund hierfür ist ihre deutliche geldpolitischen Reaktion in Folge des ursprünglichen Inflationsanstiegs. Auch scheinen sich die Prognoserevisionen zu stabilisieren.
- Dennoch warnt die EZB, dass die heutige Zinssenkung keine Phase von weiteren Zinssenkungen automatisch einleitet. Vielmehr lässt sie sich weiterhin von der Datenentwicklung treiben. Die EZB bestätigt jedoch, dass die Geldpolitik gemessen am realen Zinssatz und angesichts der zurückgehenden Inflation außerordentlich restriktiv ist.
- Die EZB betont, dass der Einlagenzins von 3,75 % noch weit vom neutralen Zinssatz entfernt ist. Sie bestätigt damit, dass weitere Zinssenkungen möglich sind, bevor die Geldpolitik neutral wird.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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