[Kapitalmarkt-News vom 26. Oktober 2023]
Fazit: Wie erwartet, hat die EZB keine Änderung an ihren Leitzinsen vorgenommen. Denn die bereits eingeleiteten Straffungen zeigen zunehmend Wirkung, wie die Entwicklung der Geldmenge und die Kreditvergabe dokumentieren. Damit sollten auch mögliche Zweitrundeneffekte aufgrund von erneuten Energiepreisanstiegen gering bleiben.
Entscheidend bleibt allerdings die weitere Entwicklung der Fiskalpolitik im Euroraum, denn würden sich die staatlichen Haushaltsdefizite im Jahr 2024 deutlich ausweiten, wäre wenig Raum für Zinssenkungen der EZB. Hierfür sind die USA ein Beispiel: Das deutlich ausgeweitete Defizit in diesem und im letzten Jahr hat bis dato einer Abkühlung der US-Wirtschaft entgegengewirkt und damit den Druck auf die Fed erhöht, weitere Zinsanhebungen vorzunehmen. Aktuell scheint die EZB daher in ihrem Inflationskampf weiter vorangeschritten zu sein als die Fed.
Geldpolitische Straffung auf gutem Weg, …
Nach fast einem Jahr des graduellen Rückgangs der Geldmenge M3 in der Eurozone ist diese im September saisonbereinigt im Vergleich zum Vormonat minimal angestiegen. Gleiches gilt für die Kreditvergabe an Unternehmen. Der Ausblick ist laut der jüngsten Umfrage der EZB allerdings eindeutig: Die Privatwirtschaft sieht keinen Bedarf an Neukrediten, sei es für Konsum- oder Investitionszwecke. Die Kreditbestände bei den Banken sollten also in den kommenden Monaten weiter unter Druck bleiben, vor allem, weil die Nachfrage der privaten Haushalte weiter nachlassen sollte. Die geldpolitische Straffung der EZB greift also nicht nur, sie ist zudem trotz des historisch relativ niedrigen EZB-Einlagenzinsniveaus von 4 % durchaus effektiv. Das letzte Mal, als die Euro-Zone solch eine Abkühlung der Geldmengenentwicklung verzeichnete, war in der Finanz- bzw. Eurokrise.
Deshalb sollten erneut ansteigende Ölpreise hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Inflationsentwicklung nicht überbewertet werden. Denn im Umfeld einer schrumpfenden Geldmenge und realwirtschaftlicher Stagnation bzw. Rezession werden solche Preisanstiege eher zu realen Einkommensverlusten oder Margendruck führen als zu einer Inflationsspirale. Die Folgen erneuter Preisschocks werden sich also negativ auf die Konjunktur auswirken und stellen in diesem Umfeld kein Risko für den Inflationsausblick dar. Somit wird in den kommenden Monaten nicht nur die allgemeine Inflation beim Verbraucherpreisindex weiter zurückgehen, sondern auch die Kerninflation (siehe IKB-Kapitalmarkt-News 13. Oktober 2023).
… doch Fiskalpolitik bleibt für das Timing einer ersten Zinssenkung entscheidend
Die Eurozone scheint bei der Bekämpfung der unterliegenden Inflationsdynamik weiter voran geschritten zu sein als die USA. Der Grund hierfür ist die US-Wirtschaft, die sich trotz eines deutlichen Anstiegs der Fed-Funds-Rate immer noch überraschend robust zeigt. Hieran hat die US-Fiskalpolitik einen großen Anteil, da sie durch ihre Defizitausweitung bis dato die geldpolitische Straffung verwässert hat. Die Staaten der Eurozone hielten sich fiskalisch hingegen zurück. Das Defizit der Eurozone lag im Jahr 2022 bei 3,6 % des BIP und sollte sich laut EU-Schätzung im Jahr 2023 auf 3,2 % reduzieren. Die – wenn auch eher nur moderate – Zurückhaltung der Euro-Staaten hat also die geldpolitische Ausrichtung der EZB unterstützt und forciert eine relativ deutliche Abkühlung der Wirtschaft.
Es wäre wünschenswert, wenn die Euro-Staaten diesen Kurs auch im Jahr 2024 trotz der herausfordernden Konjunktur beibehalten bzw. das Defizit weitere einengen. Dann wäre in der Tat der Raum für eine erste Zinssenkung der EZB Mitte 2024 vorhanden. Zudem ergäbe sich auch eine gewisse Erleichterung, was den mittelfristigen Inflationsausblick angeht. Denn schon länger besteht die Sorge, dass sich die Haushaltedefizite der Euro-Staaten im Umfeld einer Rezession ausweiten könnten. Solch eine Fiskalpolitik würde allerdings zu einer längeren Phase der geldpolitischen Straffung bzw. weiteren Zinsanstiegen führen, was wiederum Raum für Disruptionen mit sich bringen würde. In den USA haben sich diese bereits im Bankensektor gezeigt, in Deutschland womöglich bereits am Immobilienmarkt.
Schuldentragfähigkeit der Staaten braucht straffe und nicht lockere Geldpolitik
Eine Ausweitung staatlicher Haushaltsdefizite würde das Risiko von Zweitrundeneffekten hinsichtlich der Inflationsentwicklung fördern. Dies hätte weitere Zinsanstiege bzw. eine deutlich längere Dauer des aktuellen Zinsniveaus zur Folge. Das Argument, die EZB könne die Zinsen angesichts sich ausweitender Defizite und Schuldenquoten nicht weiter anheben, ist nicht schlüssig. Denn die Schuldentragfähigkeit eines Staates ist von seiner effektiven Zinsrate und damit der Zinsstrukturkurve sowie seinem nominalen BIP-Wachstum abhängig. Entscheidend ist deshalb weniger, wie sich kurzfristige Zinsen entwickeln, sondern eher wie sich die Zinskurve bzw. Zinslast relativ zum nominalen BIP-Wachstum verhalten.
Der Gedanke, ein Staat könne sich seiner Schulden durch eine hohe Inflation entledigen, weil das nominale BIP stärker zulegt, verliert im Kontext einer Refinanzierung der Schulden durch den Kapitalmarkt an Relevanz. Denn steigende Inflation führt nicht nur zu höheren Zinsen, sondern auch zu einer höheren Inflationsprämie und damit zu einem höheren realen Zinssatz. Das Verhältnis zwischen nominalem BIP-Wachstum und effektivem Zinssatz des Staates verschlechtert sich also mit steigender Inflation. So war es 1923/24 auch nicht die Hyperinflation, die damals maßgeblich durch die Fiskalpolitik vorangetrieben wurde, sondern die Währungsreform, die den deutschen Staat ermöglichte, sich seiner Schulden größtenteils zu entledigen. Gerade für eine stabile Schuldentragfähigkeit muss also der Notenbankzins ausreichend ansteigen, damit mittelfristig die reale Zinslast des Staates nicht zunimmt.
Einschätzung:
- Gemessen an der Geldmengenentwicklung und Kreditvergabe ist die geldpolitische Ausrichtung in der Eurozone ausreichend straff, um Zweitrundeneffekte hinsichtlich der Inflation zu unterbinden. Aus dieser Sicht hat die EZB mit einem Einlagenzinssatz von 4 % genug getan. Doch nur wenn die Fiskalpolitik auch weiterhin relativ restriktiv agiert, besteht Raum für eine erste Zinssenkung im kommenden Jahr.
- Nicht die Inflationsentwicklung, sondern ein niedriger realer Zinssatz bzw. ein hohes BIP-Wachstum sichert die Schuldentragfähigkeit eines Staates. Hierfür muss die EZB eine restriktive Geldpolitik überzeugend verfolgen und Inflationserwartungen stabil halten. Somit sind im Umfeld einer erhöhten Inflation höhere Kurzfristzinsen erforderlich, um die staatliche Schuldentragfähigkeit zu sichern und nicht niedrigere.
Aspekte der heutigen Sitzung
- Vor der heutigen Sitzung wurde über eine mögliche Anhebung der Mindestreserve sehr kontrovers diskutiert, hierzu gab es aber keine Entscheidung.
- Bekräftigt hat die EZB hingegen, dass sie mit Hilfe ihres Instruments zur Absicherung der Transmission (TPI) gegen „ungeordnete Marktdynamiken“ vorgehen wird – damit ist eine „zu starke“ Spreadausweitung bei den Staatsanleihen gemeint.
- Aufgrund der spürbaren Konjunktureintrübung ist in den kommenden Monaten mit zunehmendem politischem Druck auf die EZB zu rechnen. Bei der Kommunikation der Notenbank ist es wichtig, dass sie nicht auf die Konjunktureintrübung alleine eingeht, sondern deren Folgen für die Inflation betont. Dies hat die EZB in ihrer heutigen Pressekonferenz getan.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
Hinterlasse einen Kommentar