[Kapitalmarkt-News vom 12. Dezember 2019]
Krisenpolitik fokussiert sich eher auf kurzfristige Ziele als auf mögliche langfristige Konsequenzen. Dabei kann eine Krisenpolitik von Notenbanken durchaus negative Folgen haben. Diese sind allerdings dadurch zu rechtfertigen, dass Schlimmeres kurzfristig verhindert wird. Sollte die Notenbank zu ambitioniert vorgehen, kann sie im Nachhinein immer noch nach dem Motto gegensteuern „zu viel Liquidität kann aufgewischt werden“. Doch eine anhaltende Krisenpolitik hat auf Dauer nicht nur unerwünschte Nebeneffekte, sondern sie stellt die Glaubwürdigkeit der geldpolitischen Effektivität in Frage. Und dennoch: Die EZB mag zwar gemessen an ihren Instrumenten Zinsniveau und Bilanzsumme übertreiben. Bezogen auf ihre Zielgrößen ist dies jedoch nicht der Fall. Das Geldmengenwachstum in der Euro-Zone bleibt weiterhin verhalten, was zusammen mit einer stabilen bzw. sinkenden Umlaufgeschwindigkeit die Inflationsrate drückt. Wie die deutsche Zinskurve signalisiert, wird noch auf Jahre keine bedeutende Veränderung der Zinspolitik zu erwarten sein. Ob die EZB das im Jahr 2014, als sie ihre negative Zinspolitik eingeleitet hat, erwartet hat, ist unwahrscheinlich. Denn dann hätte sie sicherlich damals deutlich ambitionierter agiert.
Angesichts der anhaltenden Krisenpolitik werden zunehmend unerwünschte Nebenwirkungen kritisiert. Auch wird die Frage aufgeworfen, ob das geldpolitische Ziel der Notenbank – eine Inflationsrate von „knapp unter 2 %“ – geändert werden sollte. Letzteres könnte der EZB allerdings nachhaltig schaden. Wenn ein Ziel in Folge des Nicht-Erreichens geändert wird, werden zukünftige Ziele immer weniger ein Anker für Erwartungen darstellen. Allerdings deutet eine jahrelange Zielverfehlung ebenfalls nicht auf hohe Glaubwürdigkeit hin. Eine Notenbank hat nur unter der Annahme einer zinssensitiven Kreditnachfrage sowie einer stabilen Umlaufgeschwindigkeit des Geldes einen klaren Einflussgrad auf die Preisentwicklung. Beides war in den letzten Jahren kaum gegeben. Da der Einfluss direkter ist, mögen die Ziele „Geldmengenwachstum“ oder „Zinsniveausteuerung“ effektiver sein. Auch wären sie einfacher zu messen. Alternativ kann das Inflationsziel als langfristig interpretiert werden, oder die EZB definiert eine Bandbreite wie in Großbritannien.
Was immer das Ziel ist, die geldpolitischen Instrumente bleiben die gleichen. Und ohne ein ausreichendes Geldmengenwachstum ist weder ein höheres Inflations- oder Geldmengenziel noch eine Abkehr von negativen Zinsen möglich. Die Konjunktur gibt die Vorgaben, auf die die EZB durch Unterstützung oder Gegensteuern agieren muss. Seit der Finanz- und Eurokrise ist die Euro-Zone aufgrund hoher Schuldenquoten und fehlenden Wachstums in eine besondere Schieflage geraten, auf die die Notenbank alleine nur begrenzt Einfluss hat. Dies hat nichts mit dem richtigen oder falschen Ziel zu tun, sondern eher mit der Frage, ob die EZB alleine und damit eventuell auch überzogen, auf diese Schieflage reagieren sollte. Dies bringt unausweichlich Nebeneffekte mit sich. Aktuell geben die Parameter der europäischen Wirtschaft und anhaltende Risiken in der Realwirtschaft wenig Möglichkeiten, die geldpolitischen Ausrichtung zu ändern – auch wenn sie den Raum für die Fiskalpolitik bereits deutlich ausgeweitet hat. Die Frage ist eher, ob die EZB, die nach der Euro-Krise als alleinige handlungsfähige und handlungsbereite Institution gesehen wurde, weiterhin diese Rolle ausüben sollte.
EZB-Pressekonferenz:
Viele neue Themen scheinen die EZB seit dem Antritt von Christine Lagarde als EZB-Präsidentin zu beschäftigen. Eines ist die Überprüfung der geldpolitischen Ausrichtung. Allerdings ist dies ein Thema, das sicherlich jeder Änderung der geldpolitischen Ausrichtung vorausgegangen ist. Doch nun wird diese Analyse offiziell, was Raum für eine breitere und transparentere Diskussion über eine perspektivische Neuausrichtung erlaubt. Diese Diskussion erfolgt aber nicht, weil die EZB unter Christine Lagarde nun anerkennt, dass es durchaus negative Nebeneffekte geben könnte. Dies war auch schon unter Draghi der Fall. Der Handlungsspielraum der EZB mag nun stärker von Experten und EZB-Volkswirten bestimmt werden, als dies unter Draghi der Fall war. Letztendlich wird die EZB-Politik jedoch von den volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Einschätzungen der EZB-Ratsmitglieder bestimmt, deren Haltung sich mit einer Änderung an der Spitze der EZB nicht unbedingt ändern sollte.
Wie erwartet, hat die EZB weder ihre geldpolitische Ausrichtung noch ihre Forward Guidance geändert. Zinsen bleiben noch für lange Zeit auf dem aktuellen oder einem niedrigen Niveau. Christine Lagarde hat allerdings betont, dass die EZB durchaus erste Anzeichen einer Konjunkturstabilisierung bzw. -erholung erkennt. Die EZB erwartet ein BIP-Wachstum in der Euro-Zone von 1,2 % in 2019, 1,1% in 2020 und jeweils 1,4 % in 2021 sowie 2022. Für 2020 wurde der Ausblick im Vergleich zu den Prognosen vom September geringfügig abwärts korrigiert. Prognoserisiken bleiben leicht nach unten gerichtet. Die EZB erwartet eine Inflationsrate von 1,2 % in 2019, 1,1 % in 2020, 1,4 % 2021 und 1,6 % in 2022. Im Vergleich zum September wurden die Preis-Prognosen für 2020 leicht erhöht und für 2021 leicht gesenkt. Wie zuvor Draghi, betont auch Lagarde die Notwendigkeit von strukturellen Reformen und einer stärkeren Integration innerhalb der Euro-Zone.
Auch in der Pressekonferenz war die strategische Überprüfung ein Thema. Dabei sollten alle Aspekte der Geldpolitik beachtet werden – den Klimawandel und die zunehmende Ungleichheit eingeschlossen. Vor Ende 2020 ist beabsichtigt, die Überprüfung fertigzustellen. Wissenschaftler und europäische Politiker sollen an diesem Prozess beteiligt werden.
Macht eine Überprüfung der Strategie überhaupt Sinn, wenn das Ziel der EZB noch in weiter Ferne ist? Gemäß Lagarde scheint nach 16 Jahren eine Überprüfung notwendig. Hierbei soll das Mandat zur Preisstabilität nicht zur Diskussion stehen, sondern eher, wie dieses erreicht werden kann. Das beinhaltet auch eine Überprüfung aktueller Maßnahmen – wie das Aufkaufproramm und die anhaltend negativen Zinsen. Sind negative Nebeneffekte der Geldpolitik ein Thema für die EZB? Nebeneffekte sind grundsätzlich ein Thema – positive wie negative. Lagarde sieht einen „reversal“ Zins – ein Zinsniveau, das kontraproduktiv zum geldpolitischen Ziel wirkt, – dann erreicht, wenn es zu einem Rückgang der Kreditvergabe führt. Hiervon sei die EZB aber weit entfernt.
Fazit: Neue Präsidentin, alte Themen; so lässt sich die EZB-Pressekonferenz zusammenfassen. Denn auch wenn Christine Lagarde in der heutigen Sitzung die grundlegende Überprüfung der EZB-Strategie in den Mittelpunkt stellte: Das EZB-Mandat selbst steht dabei nicht zur Diskussion. Vielmehr ist die Überprüfung geldpolitischer Maßnahmen, Instrumente und Einflüsse ein ständiger Prozess bei der Bestimmung geldpolitischen Strategien. Dennoch könnte sich als Ergebnis der Überprüfung der Handlungsspielraum der EZB perspektivisch einengen bzw. verändern – vor allem, wenn sich die Definition der Preisstabilität ändern sollte. Weniger Zweifel gibt es allerdings daran, dass die aktuelle Geldmengenausweitung weiterhin wenig dynamisch ist und somit eine anhaltend unterstützende Geldpolitik notwendig bleibt.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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