[Kapitalmarkt-News vom 13. Januar 2020]

Fazit: In den letzten Jahren hatte die EZB viel Handlungsspielraum, da sich die Wechselwirkung zwischen Geldpolitik und Verbraucherpreisinflation kaum bemerkbar machte. Die enorme Bilanzausweitung und die anhaltende Senkung der Zinslast für die Euro-Staaten standen somit in keinem direkten Widerspruch zum Inflationsziel. Auch hatten geldpolitische Übertreibungen keine direkten Konsequenzen für die Mandatserfüllung der EZB.

Die aktuelle Konjunkturkrise sollte sich legen, und die Inflationsrate dürfte in den Jahren 2021 und 2022 steigen. Damit könnte sich durch die anziehende Inflation ein Dilemma für die EZB ergeben. Denn das Ausmaß der EZB-Bilanzsumme und die Höhe der Schuldenquoten vieler Euro-Länder lassen an der Fähigkeit und Bereitschaft der EZB zweifeln, einer steigenden Inflation effektiv die Stirn bieten zu können. Dies kann dazu führen, dass die EZB eine Anpassung des Inflationsziels vornimmt. Bundrenditen sollten hingegen weiter nach oben tendieren.

Bundrenditen: Korrektur im Jahr 2021 unausweichlich?

Die aktuelle Inflationsrate in der Euro-Zone (-0,3 % im November 2020, 0,3 % im Gesamtjahr 2020) spiegelt den konjunkturellen Einfluss der Coronakrise. Doch im Verlauf von 2021 wird die Teuerung zulegen, darüber scheint bei allen Prognostikern Konsens zu herrschen. Dies gilt für Deutschland wie für die Euro-Zone. Mit der erwarteten Konjunkturerholung könnte die Stärke des Anstiegs sogar überraschen – vor allem im Jahr 2022. Zwar dürfte dann wieder einmal die Frage aufkommen, wie nachhaltig die höhere Inflation sein wird. Dennoch sollte die EZB gerade infolge der zunehmenden Teuerung vor neuen Herausforderungen stehen – mit steigenden Bundrenditen als Folge.

Geringer Einfluss schafft Handlungsspielraum, …

Die EZB betont zwar immer wieder, dass eine Inflationsrate von nahe, aber unter 2 % weiterhin ihr Ziel ist. Doch würde die Inflationsrate überzeugend zulegen, könnte dies die europäische Notenbank in ein Dilemma bringen. Denn der indirekte und vor allem in Krisenzeiten kaum effektive Transmissionsmechanismus zwischen Geldpolitik und Inflation hat der EZB in den letzten Jahren viel Handlungsspielraum ermöglicht. So konnte sie ihre Politik des billigen Geldes, das den Euro-Staaten jeglichen Druck bzgl. ihrer Schuldentragfähigkeit genommen hat, durch einen fehlenden nachhaltigen Inflationsanstieg rechtfertigen. Tatsächlich notiert die Inflationsrate in der Euro-Zone seit der Finanzkrise deutlich unter dem EZB-Inflationsziel. Auch die aktuelle Inflationsrate ist weit entfernt von der Zielmarke, sodass der EZB bzgl. weiterer Maßnahmen keine Grenzen gesetzt sind. Dies birgt aber die Gefahr einer Überreaktion – vor allem wenn berücksichtigt wird, dass der geldpolitische Einfluss zeitverzögert stattfindet und sich nicht nur in einer höheren Verbraucherpreisinflation zeigt.

… steigende Inflation bringt ein Dilemma

Mit der erwarteten deutlichen Konjunkturerholung ab Mitte 2021 und einer steigenden Inflationsrate im Verlauf von 2021 könnte bzw. sollte die bis März 2022 anhaltende Ausweitung der EZB-Bilanz zunehmend als Übertreibung gesehen werden. Eine Überreaktion der Geldpolitik im Jahr 2021/22 mag anfänglich als wenig kritisch gesehen werden. Schließlich verhält sich die Geldpolitik wie eine Schnur – die man immer ziehen, aber eben nicht schieben kann. Doch ist die Schnur zu lang, kann auch Ziehen wenig bringen – zumindest kurzfristig (siehe Prof. Sinn. Weihnachtsvorlesung 2020). Dann wäre ein Inflationsanstieg selbst mittelfristig nur schwer zu stoppen.

Die Übertreibung der Geldpolitik kann als Folge der enormen Bilanzausweitung gesehen werden, die die EZB nicht ausreichend schnell zurückfahren kann. Möglich ist aber auch, dass die EZB die Zinsen aufgrund der europäischen Schuldenentwicklung gar nicht nachhaltig erhöhen will bzw. kann. Denn die niedrigen Zinsen senken angesichts der deutlichen Ausweitung der Schuldenquoten vieler Staaten entscheidend deren Schuldenlast. Auch wenn die effektive Zinslast in Abhängigkeit der Tilgungsstruktur erst verzögert reagieren dürfte, würde bei grundsätzlich positiv realen Renditen die Schuldentragfähigkeit zunehmend in Frage gestellt werden – vor allem in Ländern mit schwachem Wirtschaftswachstum. Eine nachhaltig steigende Inflationsrate würde die eingeschränkte Handlungsfreiheit der EZB offenbaren.

Die Glaubwürdigkeit der EZB könnte somit zunehmend unter Druck geraten. Insbesondere dürfte der Gedanke, die EZB steuere die Geldpolitik allein aus der Inflationsperspektive, in Folge der erwarteten makroökonomischen Entwicklungen getestet werden. Die Notenbank betont zwar unermüdlich ihr Inflationsziel. Doch in den letzten Jahren konnte die EZB ausweichen, zwischen steigender Zinslast für Euro-Staaten, höherer Inflation in Folge ihres begrenzten Einflussgrads und gebremstem Inflationsdruck abzuwägen. Das Ziel ändern, um Zeit zu gewinnen? Sicherlich eine Option, um Aufkaufprogramme mehr und mehr als dauerhafte Handlungsoption im Spiel zu halten. Die Konsequenzen einer derartigen Politik sind bereits bekannt. Denn die EZB verursacht mit ihrer jahrelangen Krisenpolitik in Form von negativen Zinsen, Bilanz- und Vermögenspreisanstiegen bedeutende Umverteilungseffekte.

Schuldentragfähigkeit der Euro-Zone nicht durch konventionelle Maßnahmen erreichbar

Mit Blick auf die Schuldenentwicklung gibt die Euro-Zone grundsätzlich ein schlechtes Bild ab: Sechs Jahre ununterbrochenes Wirtschaftswachstum (zwischen 1,4 % und 2,8 %) und anhaltend sinkende Zinsen konnten die Schuldenquote der Euro-Zone nur leicht reduzieren, insbesondere Länder mit hohen Schuldenquoten machten kaum Fortschritte. Nun steigt die Quote infolge der Corona-Pandemie massiv an. An eine Rückkehr zu den Maastricht-Kriterien mit Hilfe der Fiskalpolitik oder durch Wirtschaftswachstum ist nicht mehr zu denken. Je früher die EU dies erkennt und eine nachhaltige bzw. glaubwürdige Schuldentragfähigkeit ohne die Annahme von dauerhaft extrem niedrigen Zinsen sichern kann, desto schneller bekommt die EZB den Spielraum, den sie braucht, um nicht nur in Zeiten eines ineffektiven Transmissionsmechanismus frei agieren zu können, sondern auch in Zeiten einer perspektivisch steigenden bzw. sich normalisierenden Inflation und Konjunktur. In der vergangenen Erholungsphase ist dies nicht gelungen. Bisher war der Glaube noch zu groß, dass eine stabile Schuldentragfähigkeit durch Fiskalpolitik möglich ist – wenn die Geldpolitik den Staaten ausreichend Zeit verschafft.

Steigt die Inflationsrate infolge einer stark anziehenden Nachfrage, wird das nominale BIP kräftig steigen – was die Schuldenquote sinken lässt. Voraussetzung hierfür ist, dass ein nachhaltiger und deutlicher Inflationsanstieg nicht durch steigende Zinsen abgewürgt wird. Die Geldpolitik muss sich deshalb reaktiv verhalten. Hierfür benötigt sie den legitimen Spielraum. Die Fed stellt sich bereits darauf ein, verweist auf ein durchschnittliches Inflationsziel und damit auf die Notwendigkeit, in den kommenden Jahren durchaus eine höhere Inflation zuzulassen. Wird dies auch für die EZB eine Option werden? Bei der aktuellen Strategieüberprüfung der EZB spielen solche Überlegungen durchaus eine Rolle (siehe EZB-Watchers Konferenz).

Steilere Zinskurve unausweichlich

Die EZB-Geldpolitik verzerrt aktuell die gesamte Zinskurve, da sie nicht nur die Kurzfristzinsen kontrolliert, sondern auch langläufige Renditen durch ihr Ankaufprogramm maßgeblich beeinflusst. Aktuell mag das niedrige Niveau der Langfrist-Bundrenditen nicht als abwegig angesehen werden, da die Inflationsrate negativ ausfällt und die europäische Wirtschaft vom Lockdown belastet ist. Mit der erwarteten Konjunkturaufhellung und dem Anstieg der Inflationsrate ist sicherlich spätestens ab Mitte 2021 ein Anziehen der Langfristzinsen zu erwarten. Grundsätzlich wird durch die Beendigung des Aufkaufprogramms im März 2022 eine wichtige Stütze für negative langläufige Bundrenditen wegbrechen, was bereits im Vorfeld zu einer Korrektur führen wird. Denn die aktuellen Renditeniveaus sind mit der zu erwartenden Fundamentalentwicklung von Konjunktur und Inflation unvereinbar. 

In den USA ist trotz des Fokus der Fed auf eine durchschnittliche Inflationsrate ein deutlicher Anstieg (mehr als Verdopplung) der 10-jährigen Renditen zu verzeichnen (von um die 0,5 % Anfang August 2020 auf aktuell 1,17 %), während keine Änderung am kurzen Ende der Zinskurve in Sicht ist. Die Stabilisierung der US-Wirtschaft seit dem zweiten Quartal 2020 sowie ein deutlich geringerer Einfluss der Fed auf das lange Ende der Zinskurve sind die Gründe. Die Fed-Bilanz hat sich zwar von März bis Juli 2020 deutlich ausgeweitet, seitdem ist der Anstieg im Gegensatz zur EZB-Bilanz jedoch deutlich weniger ausgeprägt, sodass der Einflussgrad von fundamentalen Entwicklungen wieder zunimmt (siehe auch Federal Reserve Board – Recent balance sheet trends).

Um die Renditen niedrig zu halten, könnte die EZB das Aufkaufprogramm erneut verlängern – getrieben eher von steigender als sinkender Inflation. Doch dies scheint selbst für eine EZB, die nach dem Motto „whatever it takes“ agiert, eine extreme Annahme. Die deutsche Zinskurve sollte also im Verlauf von 2021 mit anziehen, insbesondere bei Langfristzinsen. Hier spiegelt sich aber nicht die Erwartung, die Konjunktur in Europa sei langfristig auf einem guten Weg. Vielmehr zeigt die Entwicklung, dass die EZB aktuell das gesamte lange Ende der Kurve bestimmt bzw. manipuliert; mit Abklingen der Krise wird dies nachlassen bzw. die Inflationserwartungen werden wieder mehr Perspektive bekommen. Auch wenn das kurze Ende der Zinskurve aufgrund von Zweifeln an der nachhaltigen Entwicklung von Inflation und Wirtschaftswachstum im negativen Bereich verharren sollte, – und dies durch die EZB und ihre Anpassung des Ziels legitimiert wird –, sind mit der absehbaren Beendigung des Aufkaufprogramms höhere Zinsen am langen Ende unausweichlich. Der Konjunktur- und Inflationsausblick in Europa ist nicht so schlecht, wie es 10-jährige Bundrenditen aktuell immer noch signalisieren.

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