[Kapitalmarkt-News vom 24. Januar 2019] In der letzten EZB-Sitzung im Dezember 2018 hatte EZB-Präsident Draghi von zunehmenden bzw. hohen konjunkturellen Risiken gesprochen. Hätte die EZB in der heutigen Sitzung neue Wachstumsprognosen vorlegen müssen, sie wären womöglich weniger positiv als im Dezember ausgefallen, denn die Risiken bestehen nach wie vor, bzw. sie zeigen sich zunehmend in der realwirtschaftlichen Entwicklung. Da die nächsten offiziellen Prognosen erst im März 2019 fällig sind, musste die EZB in der heutigen Sitzung folglich keine offizielle Revision ihres Ausblickes vornehmen. Draghi musste sich dennoch der Herausforderung stellen, auf der einen Seite erneut seine grundsätzliche Zuversicht im Hinblick auf die europäische Konjunktur zu bekräftigen, und auf der anderen Seite keine Zweifel aufkommen zu lassen, dass die EZB reagieren wird, wenn sich die Konjunktur tatsächlich eintrüben sollte. In der Tat ist es die Betonung der EZB-Handlungsbereitschaft, die angesichts der aktuellen Stimmung und der Revisionen der Wachstumsprognosen nach unten eine bevorstehende geldpolitische Anpassung der EZB signalisiert. So hat die EZB zwar nichts an ihrer offiziellen Pressemitteilung geändert. EZB-Präsident Draghi stützt allerdings durch seine Kommentare die Einschätzung, dass die erste Zinsanhebung erst in 2020 stattfinden könnte.
In der Pressekonferenz wurde betont, dass die wirtschaftlichen Daten schwächer als erwartet ausgefallen sind. Grund war unter anderem eine schwache internationale Nachfrage. Auch bleibt die Unsicherheit in Folge geopolitischer Risiken hoch und belastet die Stimmung in der Realwirtschaft. Das gilt insbesondere angesichts des bevorstehenden Brexit. Draghi betonte, dass selbst die mittelfristige Konjunkturentwicklung weniger überzeugend zu sein scheint, als dies noch vor ein paar Monaten der Fall war. Damit ist das Prognoserisiko nicht mehr ausgeglichen, sondern eher nach unten gerichtet. Hierüber scheint Konsens im EZB-Rat geherrscht zu haben. Angesichts dieser Risiken steht die EZB bereit, alle ihre Handlungsmöglichkeiten neu zu bewerten, sollten anhaltend schwache volkswirtschaftliche Daten es erfordern. Allerdings deuten ein stabiler Arbeitsmarkt und solide Lohnsteigerungen auf eine grundsätzlich robuste Konjunktur hin. Die EZB sieht aktuell die Eintrittswahrscheinlichkeit für eine Rezession als niedrig an, auch weil Banken über robuste Bilanzen verfügen und eine ausreichende Kreditzufuhr in die Realwirtschaft sichern sollten. Die Fiskalpolitik ist gemäß Draghi ebenfalls leicht expansiv ausgerichtet. Die Inflationsrate sollte dennoch in den kommenden Monaten weiter sinken. Dies bestätigt die Erwartung, dass die EZB nicht nur ihre Wachstumsprognose, sondern auch ihre Inflationsprognose für 2019 im März nach unten anpassen muss. Noch befände sich die EZB gemäß Draghi hierzu in der „Findungsphase“. Er betonte allerdings heute, dass die Verflachung der Zinskurve bereits für eine geldpolitische Lockerung gesorgt hat und dass der Notenbank weiterhin alle Instrumente für eine effektive Geldpolitik zur Verfügung stehen.
Fazit
Noch zögert die EZB, geldpolitische Konsequenzen aus der sich eintrübenden Konjunkturlage abzuleiten. Doch aktuelle Konjunkturentwicklungen und die Kommentare von EZB-Präsident Draghi deuten darauf hin, dass die europäische Notenbank im März ihre Inflations- und BIP-Wachstumsprognosen nach unten anpassen wird. Dies sollte eine Veränderung der Forward-Guidance mit sich bringen und Erwartungen bestätigen, die von einer ersten Zinsanhebung erst im Jahr 2020 ausgehen.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen.
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