[Kapitalmarkt-News vom 25. Juli 2019] In den letzten Wochen hat die EZB Erwartungen einer bevorstehenden geldpolitischen Lockerung bestärkt. Zwar erklärte die Notenbank lediglich, Maßnahmen ergreifen zu wollen, wenn sich die konjunkturelle Lage nicht bessern sollte. Die Märkte interpretierten dies jedoch als klares Bekenntnis der EZB zu einer bevorstehenden Lockerung: Bundrenditen fielen deutlich, und auch das kurze Ende der Zinskurve reagierte in der festen Erwartung einer kurzfristig bevorstehenden Zinssenkung. Jüngste PMI-Zahlen aus der Euro-Zone scheinen diese Entwicklung zu bestätigen – die Konjunktur hat eher nachgelassen, auch wenn es weiterhin keine Anzeichen eines deutlichen Einbruchs gibt. Insgesamt waren die Erwartungen der Analysten im Vorfeld der heutigen EZB-Sitzung relativ breit gestreut. Einige rechneten mit einer Anpassung des Statements zum Zinsausblick. Andere erwarteten konkrete Maßnahmen, etwa eine Senkung des Einlagenzinssatz, gekoppelt mit einer Staffelung der Zinsen. Ein Wiederauflegen des Aufkaufprogramms mit ausgeweiteten Parametern wurden ebenfalls als Möglichkeit in Erwägung gezogen. Insbesondere in einem Punkt war man sich und mit den Finanzmärkten einig: Etwas wird die EZB ankündigen.
Mit ihrer Kommunikation hat die EZB bereits eine geldpolitische Lockerung in den letzten Wochen erreicht: Risikofreie Renditen haben reagiert, und der Euro-Dollar-Devisenkurs hat sich trotz erwarteter Fed-Zinssenkung nicht nennenswert bewegt. Die Geldpolitik in der Euro-Zone stellt sich angesichts des Zinsniveaus und des Euro-Dollar-Kurses so expansiv wie nie zuvor dar. Selbst der IWF kam um die Einschätzung nicht herum, dass der aktuelle Devisenkurs der Euro-Zone unterbewertet ist. Die EZB scheint somit alles richtig gemacht zu haben, um eine geldpolitische Lockerung zu erreichen. Gleichzeitig sind die Erwartungen an sie jedoch äußerst hoch, bzw. das Korrektur- und Enttäuschungspotenzial der Märkte ist nicht unbedeutend. Um eine geldpolitische Straffung zu verhindern, musste die EZB in der heutigen Sitzung sicherstellen, dass sie den hohen Erwartungen grundsätzlich nachkommt – dies ist angesichts der übertriebenen Erwartungen bzw. Überreaktionen der Märkte kein einfaches Unterfangen. Enttäuscht die EZB die Märkte trotz ihrer grundsätzlich äußerst expansiven Ausrichtung, wirken eine steilere Zinskurve und ein aufwertender Euro-Devisenkurs wie eine straffere Geldpolitik. Übertrifft sie die Erwartungen, schürt sie im Falle einer weiteren konjunkturellen Eintrübung überzogene und nicht haltbare Erwartungen.
Da es die Geldpolitik sein sollte, die die Märkte beeinflusst und nicht anders herum, war in der heutigen Sitzung mit einer gewissen Ernüchterung der Märkte zu rechnen. Die Fundamentaldaten deuten zwar weiterhin auf die Notwendigkeit einer äußerst unterstützenden Geldpolitik hin – vor allem weil jüngste Frühindikatoren immer noch keine Konjunkturstabilisierung signalisieren. Die Frühindikatoren haben sich aber in den letzten Monaten auch nicht dermaßen verschlechtert, dass eine großangelegte Rettungsaktion der europäischen Konjunktur und Schuldentragfähigkeit kurzfristig notwendig geworden wäre. Auch hat die EZB erst im Juni neue Wachstums- und Inflationsprognosen veröffentlicht, die angesichts der aktuellen Daten keine grundsätzliche Änderung erfordern. Trotzdem wurden die aus volkswirtschaftlicher Sicht überzogenen Erwartungen der Märkte zumindest von den Aus- und Zusagen der EZB nicht enttäuscht.
Zinsniveau: Es gibt beim Zinsniveau keine Veränderung – der Einlagenzins bleibt bei -0,4 % und der Leitzins bei 0 %.
Pressemitteilung: Die EZB signalisierte, die Zinsen möglicherweise zu senken. So wurde die vorherige Aussage, dass die Zinsen noch bis mindestens Mitte 2020 auf dem aktuellen Niveau bleiben, erweitert um „auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bis mindestens Mitte 2020“. Verbessert sich die Konjunktur in den kommenden Monaten nicht deutlich, ist deshalb von einer Zinssenkung auszugehen. Die EZB hat in ihrer Pressemitteilung zudem explizit die Möglichkeit eines Tiering im Einlagenzins sowie ein neues Asset Purchase Programm erwähnt. Zwar war bereits bekannt, dass die EZB dabei ist, solche Maßnahmen zu prüfen. Die explizite Erwähnung in der Pressemitteilung festigt allerdings die Erwartung, dass diese zum Einsatz kommen könnten, sollte sich die Konjunktur nicht erholen. So bestätigt die EZB die Erwartungen „ihre Instrumente gegebenenfalls anzupassen“ – voraussichtlich im September bei der nächsten Sitzung, wenn neue Konjunktur- und Inflationsprognosen angekündigt werden. Auch gibt die EZB ihren vorherigen Aussagen etwas Nachdruck – nicht zuletzt um das Enttäuschungspotenzial auf den Märkten einzufangen.
Gleiches gilt für die Aussage, dass die EZB ein symmetrisches Inflationsziel verfolgt: Nach Jahren der Niedrigzinsphasen sind durchaus höhere Inflationsraten konsistent mit dem Inflationsziel, und die EZB muss dann nicht aufgrund eines Anstiegs der Inflationsrate sofort an der Zinsschraube drehen. Diese Aussage sowie die mögliche Einführung einer Staffelung des Einlagenzinses sollen das zukünftig erwartete Zinsniveau senken und damit die Zinskurve drücken bzw. verflachen. Die Tatsache, dass die Inflationsprognosen der EZB unter ihrem Ziel liegen, lässt darauf schließen, dass die EZB ihre geldpolitische Ausrichtung in den kommenden Monaten weiter lockern wird.
Nennenswerte weitere Statements aus der Pressekonferenz:
- Der Konjunkturausblick bleibt laut EZB abwärtsgerichtet. Die Inflation sollte in den kommenden Monaten weiter zurückgehen – vor allem aufgrund der Ölpreisentwicklungen. Doch die grundlegende Inflationsdynamik bleibt eher moderat. Der zunehmende Kostendruck zeigt sich nur zögerlich in einer höheren Inflationsrate. Bei der Kreditvergabe werden die Banken aufgrund zunehmender konjunktureller Sorgen vorsichtiger agieren.
- Die EZB ist mit der Inflationsdynamik nicht zufrieden und bekräftigt angesichts ihrer Prognosen weiteren Handlungsbedarf. Es bleibt jedoch Aufgabe der Fiskalpolitik, einem möglichen eskalierenden Konjunktureinbruch entgegenzuwirken. Das Zinsniveau und der Einfluss der EZB auf die Zinskurven der Euro-Länder haben hierfür Raum geschaffen.
- Der Einfluss weiterer Zinssenkungen auf die Profitabilität der Banken wird durch zusätzliche Maßnahmen wie die Staffelung des Einlagenzinses gemildert werden.
Fazit:
Die EZB hat sich heute mächtig ins Zeug gelegt: Zinsstaffelung und weitere -senkungen, ein erneutes Aufkaufprogramm sowie die Betonung eines symmetrischen Inflationsziels – alles Maßnahmen, die im Raum stehen – nur nicht aktuell.
Konjunktur und Inflation in der Euro-Zone lassen jedoch wenig Raum für Zweifel: Die EZB wird ihre Geldpolitik weiter lockern – voraussichtlich mit den neuen Makroprognosen im September. Draghi bestätigt somit die Erwartungen weiterer Zinssenkungen – heute eher mit Worten als mit Taten.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
Hinterlasse einen Kommentar