[Consumer & Retail-Information vom 22. Januar 2021] Hinter der deutschen Ernährungsindustrie liegt ein herausforderndes Jahr 2020. Als die IKB im vergangenen Februar einen Ausblick auf das noch junge Jahr 2020 wagte, war noch völlig unklar, welches Ausmaß die Corona-Pandemie annehmen würde: Lockdowns, Hamsterkäufe und zeitweise leere Regale, Sorgen vor ausfallenden Ernten aufgrund fehlender Saisonarbeiter und ein deutlicher Einbruch im Außer-Haus-Geschäft waren die Begleiter 2020. Allen Widrigkeiten zum Trotz zeigte sich die deutsche Ernährungsindustrie insbesondere im Vergleich zu anderen Branchen sehr robust. Auch 2021 startet mit einem verlängerten Lockdown und großen Unsicherheiten, die mindestens bis zur Jahresmitte anhalten werden.

Leichter Umsatzrückgang in einem herausfordernden Marktumfeld

Das Umsatzwachstum der letzten Jahre konnte die Ernährungsindustrie nach ersten Schätzungen im Krisenjahr 2020 nicht fortsetzen. Nachdem der Umsatz im Jahr 2019 um 3,2 % auf 185,3 Mrd. € gestiegen war, geht die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) für das Jahr 2020 von einem leichten Umsatzrückgang auf 184,7 Mrd. € (-0,3 %) aus; angesichts der Rahmenbedingungen ein respektables Ergebnis. So verzeichnete die Branche massive Nachfragerückgänge aus dem Gastgewerbe und dem Großverbrauchergeschäft. Das Statistische Bundesamt rechnet für das gesamte Gastgewerbe (Hotels und Gastronomie) im vergangenen Jahr mit einem Umsatzrückgang von 36 %.  Ein Großteil der Verbrauchernachfrage verlagerte sich in den Lebensmitteleinzelhandel (LEH), der zwischen Januar und November ein Umsatzplus von 8 % gegenüber 2019 verzeichnete, was in Summe zu einer leichten Steigerung des Inlandsumsatzes der Ernährungsindustrie um 0,4 % führte.

Demgegenüber steht das Auslandsgeschäft, das mit einem Umsatzanteil von rd. 34 % ein bedeutendes Standbein der deutschen Ernährungsindustrie ist und deutlicher unter den Folgen der Pandemie litt. Zwar blieben die Lieferketten der Branche aufgrund ihrer Systemrelevanz grundsätzlich intakt. Jedoch setzen u. a. temporäre Grenzschließungen und lokale Infektionsherde Logistik und Produktion unter Druck, sodass am Ende ein Rückgang des Auslandsumsatzes um 1,9 % zu verzeichnen war.

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie, insbesondere die Schließungen der Gastronomie und der Ausfall von Großveranstaltungen, haben sowohl die verschiedenen Segmente der Ernährungswirtschaft als auch die Geschäftsmodelle in ihrer Ausrichtung auf das LEH- oder das Außer-Haus-Geschäft unterschiedlich stark getroffen. Beispielsweise melden kleinere Brauereien mit einem überdurchschnittlichen Gastronomieabsatz teilweise Absatzrückgänge von bis zu 70 %, während Hersteller von Tiefkühlkost mit Absatz im LEH zum Teil zweistellige Zuwächse verbuchen können. Die operativen Jahresergebnisse fallen entsprechend heterogen aus. Unabhängig von der Pandemie belasteten punktuell zudem branchenspezifische Events, etwa die Afrikanische Schweinepest die deutsche Fleischwirtschaft, mit einem Umsatzanteil von ca. 25 % größte Teilbranche der Ernährungsindustrie. Importverbote bedeutender Abnehmerländer führten zu einem Einbruch der Schweinefleischexporte.

Unsicherer Ausblick auf 2021

Ob die Branche 2021 wieder annähernd an den Wachstumstrend der Vorkrisenjahre anknüpfen kann, hängt maßgeblich vom weiteren Verlauf der Corona-Pandemie im In- und Ausland ab. Aktuell ist die Unsicherheit sowohl bei Verbrauchern als auch bei Unternehmen hoch, da noch nicht abzusehen ist, ob auf den erst kürzlich bis Mitte Februar verlängerten Lockdown weitere Verlängerungen folgen. Es muss damit gerechnet werden, dass sich die Nachfragesituation mit Blick auf das Außer-Haus-Geschäft im ersten Halbjahr nicht wesentlich verbessern wird. Die IKB geht davon aus, dass es im zweiten Halbjahr 2021 mit einem Fortschreiten der Impfkampagne zu einer nachhaltigen Beruhigung des Infektionsgeschehens kommt und im Zuge dessen wieder weitreichende und nachhaltige Lockerungsmaßnahmen möglich sein werden. Die Nachfrage aus Gastgewerbe und Großverbrauchergeschäft dürfte dann schrittweise wieder anziehen und für eine Belebung sorgen.

Strukturelle Trends werden durch die Corona-Pandemie verstärkt

Bei der berechtigten Fokussierung auf das Handling der Coronakrise im Tagesgeschäft ist es notwendig, den Blick nach vorne zu richten und die übergreifenden Branchentrends, aus denen sich künftige Absatz- und Ertragschancen ableiten lassen, nicht aus den Augen zu verlieren. Die IKB sieht insbesondere folgende Themen, die die Branche auf dem Weg in die nächsten Jahre begleiten werden:

Nachhaltigkeit – Das Thema ist in den vergangenen Jahren zum zentralen Erfolgsfaktor für die gesamte Konsumgüterindustrie geworden und wird dies auch auf absehbare Zeit bleiben. Ganz besonders für die Lebensmittelindustrie bieten sich vielfältige Anknüpfungspunkte. Angefangen bei der Frage des Tierwohls über regionale Produkte bis hin zu nachhaltigen Verpackungslösungen. Das Thema betrifft Produzenten und Händler gleichermaßen und ist ein bedeutendes Differenzierungsmerkmal. Das zeigen die Diskussionen um das sogenannte Lieferkettengesetz oder die Mehrweg- und Gebindediskussion in der Getränkewirtschaft. Es kristallisiert sich zunehmend heraus, dass langfristig nur Erfolg haben wird, wer transparent und glaubhaft nachhaltig auf allen Wertschöpfungsstufen agiert. Die Regulatorik setzt neben dem Konsumentenverhalten entsprechende Rahmenbedingungen, die Geschäftsmodelle in den kommenden Jahren strategisch auszurichten.

E-Food – Im Vergleich zu anderen Branchen, etwa dem Modehandel, ist die Online-Penetration im Bereich der Fast Moving Consumer Goods (FMCG), also Lebensmittel und Drogerieartikel, noch gering. Spätestens seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 ist der Online-Handel mit FMCG jedoch aus der Nische getreten. Aus zunächst offensichtlichen Gründen öffnete die Pandemie auch weniger online-affine Verbraucher für Lieferkonzepte von „Picnic“, „Flaschenpost“, „Bringmeister“ & Co. Wer sich einen Slot zur Lieferung seines Einkaufs sichern wollte, musste in der Hochphase teils mit deutlichem Vorlauf bestellen, um beliefert werden zu können. Laut IFH Köln lag das Wachstum (oberes Szenario) im Online-Handel mit FMCG 2020 im Vergleich zum Vorjahr bei bis zu 59 %. Die Akzeptanz steigt auch im Land der preissensiblen deutschen Verbraucher und der Discountkonzepte.

Gesundheit – Liquid Evolution, High Protein, Low Carb, zuckerreduzierte Produkte. Die Liste mit Schlagwörtern zum Thema gesunde Ernährung lässt sich beliebig fortführen. Die Quintessenz ist, dass Verbraucher zunehmend Wert auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung legen und sich bewusst über Inhaltsstoffe und Nährwerte informieren. In der Folge gewinnen beispielsweise alkoholfreie und zuckerreduzierte Getränke oder mit Proteinen angereicherte Molkereierzeugnisse Marktanteile mit zweistelligen Wachstumsraten. Ein aktuelles Beispiel in der Schnittmenge von Nachhaltigkeit und Gesundheit ist das sogenannte Plant-Based-Food. Lange fristeten pflanzliche Alternativen zu Fleisch- und Molkereiprodukten ein Schattendasein. Inzwischen sind sie fester Bestandteil des Angebots im LEH.

Das Jahr 2021 wird mit Sicherheit ein weiteres Jahr der Herausforderungen. Der Blick auf die genannten strukturellen Trends zeigt – auch im Zusammenhang mit der Coronakrise –, dass sich Möglichkeiten bieten, Geschäftsmodelle weiter zu entwickeln, Veränderungen zu forcieren und Chancen zu ergreifen, um an ertragreichem Wachstum zu partizipieren.

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Dr. Klaus Bauknecht                  Volkswirtschaft

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