[Consumer & Retail-Information vom 16. März 2020]

2019 war insgesamt ein gutes Jahr …

Der Einzelhandelsumsatz in Deutschland wuchs 2019 real um 2,7 % und damit unerwartet stark. Das Plus im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) lag bei 1,2 %, der Nicht-Lebensmitteleinzelhandel zeigte mit 3,6 % laut Statistischem Bundesamt deutlich höhere Wachstumsraten. Hilfreich war das gute Weihnachtsgeschäft, in dem – flankiert von umsatzstarken Shoppingevents – erstmals über 100 Mrd. € umgesetzt werden konnten. Die einzelnen Segmente zeigten dabei unterschiedliche und zum Teil gegenläufige Entwicklungen. Während die Bekleidungshändler einen Rückgang von 1 % verzeichnen mussten, konnten Händler von Einrichtungsgegenständen, Haushaltsgeräten und Baubedarf um 2,7 % zulegen, der Handel mit kosmetischen, pharmazeutischen und medizinischen Produkten wuchs sogar um 3,3 %. Ein überdurchschnittliches Wachstum mit 4,6 % zeigte der sonstige Einzelhandel. Treiber war hier laut Handelsverband Deutschland (HDE) wiederholt der Handel mit Fahrrädern mit einem Umsatzplus von knapp 13 %. Der Onlinehandel wuchs 2019 laut Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh) ungebrochen um 11,9 %.

Damit war 2019 insgesamt ein gutes Jahr und für den deutschen Einzelhandel das elfte Wachstumsjahr in Folge. Auch für 2020 waren die Vorzeichen positiv, noch Ende Januar – also unmittelbar vor dem „Corona-Schock“ – ging der HDE von einem Umsatzwachstum im Einzelhandel von 2,5 % aus.

… aber für 2020 ziehen neue Wolken auf – zumindest vorübergehend

Die HDE-Prognose ist aus unserer Sicht aktuell nicht mehr zu halten. Die konjunkturellen Rahmendaten hatten sich bereits seit Jahresanfang eingetrübt. Und am aktuellen Rand häufen sich Meldungen aus den verschiedenen Segmenten, die von teilweise deutlichen Auswirkungen der Corona-Epidemie auf das Konsumverhalten berichten. Die Verunsicherung ist groß, das Resultat ist eine abnehmende Besuchsfrequenz besonders der Innenstädte – nicht nur in den stark betroffenen Regionen. Der stationäre Modehandel meldet beispielsweise für die 10. Kalenderwoche einen Umsatzrückgang von 4 % gegenüber Vorjahr und damit das sechste Umsatzminus in Folge. Mit Blick auf die Wochenumsätze zeigt sich deutlich, dass die stationären Umsätze mit Ansteigen der Krankheitsfälle abflachen bzw. rückläufig sind. In den kommenden Wochen wird sich diese Situation laut Prognosen fortsetzen. Dafür bedarf es keines Worst-Case-Szenarios für das öffentliche Leben, wie es aktuell Italien erlebt.

Profiteur der aktuellen Situation ist augenscheinlich der Lebensmitteleinzelhandel. Die Unsicherheit veranlasst die Konsumenten zu „Hamsterkäufen“. Wie der Bundesverband des Deutschen Lebensmitteleinzelhandels berichtet, ist die Nachfrage nach besonders haltbaren Produkten wie Nudeln, Reis, Konserven, Mehl und Zucker so stark gestiegen, dass es in einzelnen Regionen vorübergehend zu Angebotslücken kam. Die Bilder leerer Regale gingen durch die Medien, was die Nachfrage weiter stimuliert hat. Die GfK meldet allein für die erste Märzwoche ein Plus von 14 %. Neben den Lebensmitteleinzelhändlern melden Drogerien bei Hygieneartikeln, Desinfektions- und Reinigungsmittel ein stark gestiegenes Käuferaufkommen, bei Baumärkten werden insbesondere Schutzkleidung und Atemmasken nachgefragt. Die Umsatzzuwächse bei den entsprechenden Warengruppen aufgrund der Vorratshaltung werden allerdings zu gegenläufigen Zahlen führen, wenn die gefühlte Verunsicherung und die reale Bedrohung durch Corona enden.

Hohen Kundenzulauf verzeichnen aktuell E-Food-Unternehmen. Lieferdienste wie Picnic, Getnow oder Rewe-Lieferdienst melden hohe Nachfragesteigerungen, die so ausgeprägt sind, dass es zunehmend schwierig wird, die Anfragen zu bedienen. Für den E-Food-Markt kann dies die Möglichkeit bedeuten, sich endgültig am Markt zu etablieren. Die ohnehin hohen Wachstumsraten könnten 2020 nochmals zulegen. Diese Einschätzung trifft evtl. auch auf den Online-Umsatz insgesamt zu. Die vom bevh Mitte Januar prognostizierte Wachstumsrate von 10 % könnte erheblich übertroffen werden.

Zu Verwerfungen wird es definitiv durch die Probleme in den internationalen Lieferketten kommen. Prinzipiell gilt dieses Szenario für jede Branche, die auf Vorprodukte oder Komponenten angewiesen ist, die – ob direkt oder indirekt – aus Regionen stammen, die aufgrund von Quarantänemaßnahmen Produktionsstätten schließen müssen bzw. von unterbrochenen Lieferketten betroffen sind. Beispielsweise wird der deutsche Möbelmarkt zu einem nennenswerten Teil über Importe versorgt. Die Einfuhren stammen zu knapp 15 % aus China und auch Italien spielt mit einem Anteil von 4 % eine nicht unbedeutende Rolle. Eine Unterbrechung der Lieferketten würde bedeuten, dass nachgefragte Produkte nicht vorhanden bzw. mit Blick auf Teilelieferungen aus dem Ausland nicht finalisiert werden können. Die Bekleidungsindustrie zeigt eine noch deutlich größere Abhängigkeit von der Auslandsproduktion.

Entscheidend ist die weitere Ausbreitung des Coronavirus und die Dauer der Epidemie

Der weitere Verlauf der Einzelhandelsentwicklung 2020 wird maßgeblich davon abhängen, wie sich das Coronavirus verbreitet und welche Gegenmaßnahmen in Deutschland getroffen werden. Kurzfristig führt der Nachfragerückgang im stationären Handel zu Umsatzeinbußen, die jedoch noch deutlich zunehmen könnten, wenn es in stark betroffenen Gegenden zu Schließungen der Läden kommt, die nicht zur Versorgung der Bevölkerung nötig sind.

Die temporäre Unterbrechung der Lieferketten wirkt negativ verstärkend und führt bei einer Belebung der Nachfrage wahrscheinlich zur Verzögerung der Umsatzerholung. Das Saisongeschäft – insb. bei Bekleidung – wird beispielsweise leiden, wenn der Handel seine Läden nicht rechtzeitig bestücken kann. Ware, die ab Juli in den Läden liegen soll, muss im März und April produziert werden. Nicht umgesetzte Einkäufe bei Fast Moving Consumer Goods (FMCG) führen nicht zu Aufholeffekten nach der Epidemie.

Für den Einzelhandel stellt die aktuelle Situation ein großes und für einzelne Händler ein substanzielles Risiko dar. Panik ist immer ein schlechter Ratgeber und es gilt, mit Augenmaß zu agieren. Aber für das Jahr 2020 muss in einem mehrwöchigen Epidemie-Szenario für Deutschland mit erheblichen Umsatz- und Ertragseinbußen gerechnet werden. Die strukturelle Verschiebung zugunsten des Online-Handels wird nach unserer Einschätzung nochmals an Dynamik gewinnen. Die Beschaffungsstrukturen dürften mit Blick auf das Ausmaß der in den vergangenen Jahren erfolgten Verlagerung – insbesondere nach Fernost – zu überdenken sein.

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