[Consumer & Retail-Information vom 27. Juli 2021]
Dass die Covid-19-Pandemie dem Onlinehandel in Summe zu einem nie dagewesenen Boom verholfen hat, dürfte inzwischen hinlänglich bekannt sein. Auf Basis von Zahlen des IFH Köln und des deutschen Handelsverbandes (HDE) verzeichnete der Onlinehandel im Jahr 2020 ein Umsatzplus von rd. 23 % auf 73 Mrd. €. und nahm damit die Entwicklung mehrerer Jahre vorweg. In der Pandemie zeigten sich insbesondere für diejenigen Konsumenten die Mehrwerte des Onlinehandels, die bis dahin kaum oder keine Berührungspunkte mit ihm hatten: schnelle Lieferzeiten, Sicherheit, eine große Auswahl und eine hohe Preistransparenz.
Enormes Wachstum im Onlinehandel mit Lebensmitteln
Von dem enormen Umsatzsprung im vergangenen Jahr profitierten nahezu alle Warengruppen und damit auch diejenigen, die bisher einen vergleichsweise niedrigen Online-Anteil vorweisen konnten. So zeigte das Marktsegment E-Food, also der Onlinehandel mit Lebensmitteln, das mit Abstand stärkste Wachstum. Sein Umsatz legte im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um rd. 60 % zu und steigerte seinen Anteil am gesamten Lebensmitteleinzelhandel (LEH), dessen Marktvolumen bei 204 Mrd. € liegt, auf 2,0 %. Zum Vergleich: 2019 lag das Umsatzwachstum noch bei ca. 16 % bei einem Online-Anteil von 1,4 %.
Betrachtet man unterjährige Daten zur Entwicklung des E-Food-Marktes des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel (bevh) für das erste und zweite Quartal 2021, steht unter dem Strich ein Plus von 84,5 % bzw. 34,9 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die dynamische Entwicklung des letzten Jahres setzt sich also bisher auch ohne begünstigende Basiseffekte nahezu ungebremst fort.
E-Food-Markt lockt Start-Ups und etablierte Lebensmittelhändler
Insbesondere diese, durch die Corona-Pandemie induzierte Wachstumsdynamik, hat die Attraktivität des Marktsegments erhöht und das Interesse von Start-Ups und Investoren geweckt. Prominente Beispiele sind die Unternehmen Gorillas oder Flink, die in einigen deutschen Großstädten aktiv sind und aus der Not der Pandemie eine Tugend gemacht haben. Dabei ist die grundsätzliche Idee, Lebensmittel online zu bestellen und sich diese nach Hause liefern zu lassen, keinesfalls neu.
Der größte deutsche Lebensmitteleinzelhändler Rewe ist mit seinem Lieferdienst bereits seit vielen Jahren in Deutschland aktiv und erwirtschaftet mit diesem einen Umsatz von ungefähr 500 Mio. €. Ein weiteres prominentes Beispiel ist der Getränkelieferdienst Flaschenpost, der online bestellte Getränke innerhalb von zwei Stunden nach Bestelleingang an seine Kunden liefert und erst kürzlich für etwa 1 Mrd. € von der Oetker-Gruppe übernommen wurde.
Neu sind jedoch die Geschwindigkeit und Aggressivität der Expansion sowie die versprochene Serviceleistung der jungen Unternehmen, die sich im Wesentlichen über Lieferung und Lieferzeit definiert. Mit dem Versprechen online bestellte Lebensmittel teilweise innerhalb von zehn Minuten beim Kunden abzuliefern, prägen sie einen neuen Begriff der Branche, den sogenannten Quick-Commerce (Q-Commerce). Gleichzeitig haben es einige Start-Ups inzwischen zu Bewertungen in höhe von dreistelligen Millionenbeträgen gebracht, denn nationale sowie internationale Investoren sind von dem Geschäftsmodell überzeugt. Laut Zahlen des Datenanbieters Pitchbook haben diese in den ersten sechs Monaten dieses Jahres etwa 10 Mrd. US-$ Venture-Capital in entsprechende Unternehmen investiert. So ist beispielweise Gorillas nach der jüngsten Finanzierungsrunde – knapp neun Monaten nach der ersten eingegangenen Bestellung – zum Einhorn aufgestiegen und damit mit mehr als 1 Mrd. US-$ bewertet.
Fehlende Rentabilität eint nahezu alle Anbieter
Angesichts des rasanten Aufstiegs dieser neuen Start-Up-Generation lohnt ein rationaler betriebswirtschaftlicher Blick. Keines der noch sehr jungen Unternehmen betreibt derzeit ein profitables Geschäft, noch wird dies in naher Zukunft der Fall sein können. Je nachdem welche Annahmen man mit Blick auf relevante Parameter des Geschäftsmodells zu Grunde legt (Personal-, Rohstoff-, Logistikkosten, Anzahl der Bestellungen, durchschnittliche Größe des Warenkorbs usw.) fällt pro Lieferung ein operativer Verlust zwischen 0,5 € und 2 € an, der sich im Jahr schnell auf einen hohen zweistelligen oder gar dreistelligen Millionenbetrag summieren kann.
Dabei ist fehlende Rentabilität jedoch keinesfalls ein Merkmal, das ausschließlich auf die neuen Anbieter im Q-Commerce zutrifft, sondern nahezu alle Anbieter im E-Food-Markt eint. Auch etabliertere Marktteilnehmer, die ein anderes Konzept verfolgen, etwa ein breites Sortiment anbieten und bei deutlich längeren Lieferzeiten Vorbestellungen sammeln und daher Skaleneffekte erzielen können, operieren in der Breite ebenfalls noch nicht rentabel. Dazu gehören u. a. Rewe, Flaschenpost (Oetker-Gruppe), Picnic (Edeka) oder Amazon Fresh.
Konsolidierung unausweichlich?
In Anbetracht des sich sehr dynamisch entwickelnden Marktes fällt eine verlässliche Prognose, welches Geschäftsmodell bzw. Unternehmen sich letztlich durchsetzen wird, nicht leicht. Aus Sicht der IKB wird es mittelfristig zu einer Konsolidierung im noch jungen E-Food-Markt kommen müssen, denn die Skalierung des operativen Geschäfts ist eine wesentliche Stellschraube auf dem Weg zur Rentabilität. Vieles deutet daraufhin, dass sich der Q-Commerce in seiner jetzigen Form aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht durchsetzen können wird. Das Ringen um die schnellsten Lieferzeiten ist von den Marktteilnehmern selbst initiiert worden, weniger von den Konsumenten. Denkbar ist daher eine Art Q-Commerce light, das die bisherigen Konzepte verschmilzt und sich auf diese Weise grundsätzlich wirtschaftlich besser umsetzen lässt. Als ein Beispiel wäre hier das Unternehmen Bringoo zu nennen, das sowohl als Plattformbetreiber für lokale Partner aus dem LEH als auch als Dienstleister auftritt und somit hohe Investitionen in eigene Logistik-Hubs umgeht.
Unabhängig davon, welches Unternehmen sich am Ende durchsetzen wird, die positiven Rahmenbedingungen werden weiterhin Bestand haben. Der grundsätzliche Trend, nämlich eine stetige Verschiebung in Richtung Onlinehandel, sieht die IKB zukünftig auch bei Lebensmitteln. Die Pandemie hat dort die Weichen nachhaltig auf Wachstum gestellt.
Dennis Rauen ist Analyst in der Industriegruppe Consumer & Retail der IKB. Er ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank in den Branchen Konsumgüter und Handel. Nach dem Master of Science in Economics an der Universität zu Köln stieß er 2019 zur IKB. Während seines Studiums sammelte er Erfahrungen in der Wirtschaftsforschung und im Banking.
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