Die Coronakrise hat die deutsche Wirtschaft trotz zunehmender Lockerungsmaßnahmen weiter fest im Griff. Von wenigen Branchen abgesehen, wird das Jahr 2020 für die meisten Unternehmen zu einer besonderen – zum Teil existentiellen – Herausforderung. Das gilt für den Nonfood-Einzelhandel in besonderem Maße, der durch den weitgehenden Lockdown ab 19. März frühzeitig die Hoffnungen auf eine Fortsetzung der erfreulichen Vorjahresentwicklung aufgeben musste. Das GfK-Konsumklima erreichte im März und April auf einen historischen Tiefstand, die Einzelhandelsumsätze brachen im Vorjahresvergleich zweistellig ein. Nicht nur im stationären Handel, auch im Online-Handel fehlten Frequenz und Käufe.

Die sukzessiven Lockerungen für den stationären Nonfood-Handel ab dem 20. April führten bislang nicht zu der erhofften grundlegenden Wende. Aktuell steht der Versorgungsaspekt beim Einkauf klar im Vordergrund, wie beispielsweise die Ergebnisse des ECC Köln beim Corona Consumer Check zeigen. Die Umsätze kommen allerdings langsam zurück und das aktuelle GfK-Konsumklima signalisiert für Juni immerhin einen leichten Umschwung. In Summe hat der deutsche Einzelhandel in der Phase des weitgehenden Shutdowns von Mitte März bis Mitte April 2020 nach IKB-Einschätzung Umsätze in Höhe von 30 – 32 Mrd. € verloren.
Die Konsummüdigkeit traf im ersten Schritt auch den Onlinehandel
War es über die letzten Jahre bei jeder monatlichen Veröffentlichung des Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (BEVH) nicht die Frage ob, sondern lediglich wie hoch die Zuwächse im Onlinehandel ausfielen, musste der BEVH für März 2020 ein Minus von 18 % im Vergleich zum Vorjahresmonat melden. Lediglich Lebensmittel, Drogeriewaren, Medikamente und DIY-Sortimente verzeichneten weiteres Wachstum.

Bereits im April waren die Rückgänge aus dem März in vielen Warenkategorien aber wieder ausgeglichen und wir erwarten ab Mai durchgängig positive Veränderungsraten für das laufende Jahr. Die Geschäftserwartungen des Online-/Versandhandels im Vergleich zum gesamten Einzelhandel unterstreichen unsere Einschätzung, dass sich die Umsatzentwicklung im E-Commerce 2020 beschleunigt von der des stationären Handel abkoppeln wird.
Die notwendigen einschränkenden Regeln für die Frequenzsteuerung wirken für den stationären Handel weiterhin ebenso als Hemmnis wie die Beschränkungen für die Gastronomie, die eine nicht zu unterschätzende Rolle für den innerstädtischen Einzelhandel spielt.
Die Coronakrise sorgt dafür, dass die Konsumenten ihr Einkaufsverhalten neu ausrichten werden. Das Bewusstsein für den lokalen stationären Einzelhandel wird geschärft und Initiativen lokaler Händler über lokale Online-Plattformen, ausgebaute Click and Collect-Angebote sowie Kanal übergreifende Kommunikation zeigen, wie schnell Geschäftsmodelle an neue Rahmenbedingungen angepasst werden können. Zudem spielen etablierte stationäre Händler neben dem Omnichannel-Ansatz erfolgreich die Karte ihrer Sortiments- und Beratungskompetenz, um Kunden auch in der Krise zu binden.
Mittelfristig wird die Coronakrise als Beschleuniger struktureller Entwicklungen wirken
Das IFH Köln hat noch vor Beginn der Coronakrise in seiner Studie „Handelsszenario 2030“ vier Szenarien für die Entwicklung des Einzelhandels in der laufenden Dekade entwickelt und hierbei die Bedeutung des Onlinehandels unter verschiedenen Rahmenbedingungen skizziert. In keinem einzigen Szenario werden bis 2030 rückläufige Onlineumsätze prognostiziert: Der Onlinehandel wird weiter Marktanteile des stationären Handels an sich ziehen.

Wir sehen die Dynamik der Entwicklung durch Corona sogar noch gestärkt und halten einen Online-Anteil am gesamten Einzelhandelsumsatz von bis zu 25 % im Jahr 2030 für realistisch. Die Lernkurve der Verbraucher bei Online-Geschäft über Plattformen, der laufende Ausbau der Logistikinfrastruktur und nicht zuletzt die Aktivitäten der stationären Händler selbst werden das Wachstum weitertreiben.
2020 wird den deutschen Einzelhandel und die gesamte Wertschöpfungskette in der Warenversorgung auf eine harte Bewährungsprobe stellen. Die Risiken sind unbestritten, aber hieraus erwachsen ebenso Chancen für die zukunftsfähige Ausrichtung der Geschäftsmodelle. Ein Punkt wird hierbei klar: die kanalübergreifende Kommunikation mit dem Kunden und ein schlüssiges E-Commerce-Konzept werden noch wichtiger.
Johannes Sausen ist Direktor und Leiter des Sektorvertriebs der IKB sowie Head of Consumer, Retail, Logistics & TMT. Sein persönlicher Branchenschwerpunkt liegt in den Bereichen Consumer Food, ausgewählten Consumer Nonfood-Segmenten sowie im Einzelhandel. Er ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank in den genannten Branchen. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln hat er seine ersten fünf Berufsjahre bei einer Unternehmensberatung absolviert, bevor er 1999 zur IKB stieß.
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