[Kapitalmarkt-News vom 25. Juli 2022]
Fazit: Noch nie in jüngste Zeit fiel die Unternehmer- und Verbraucherstimmung so unterschiedlich aus wie aktuell. Denn das Verbrauchervertrauen ist infolge realer Lohnverluste schon länger unter Druck und ist z. T. auf ein Niveau gefallen, das selbst während der Finanzkrise nicht erreicht wurde. Die aktuelle Abkühlung des ifo Geschäftsklimas signalisiert jedoch eine zunehmende Angleichung der Angebots- und Nachfragestimmungsindikatoren in der Wirtschaft. Dies ist entscheidend, um Zweitrundeneffekte wie hohe Lohnforderungen zu dämpfen. So signalisiert der heutige ifo Index nicht nur eine Eintrübung des Konjunkturausblicks, denn sollte der Rückgang anhalten, signalisiert er auch nachlassenden Inflationsdruck.
Stimmung der Unternehmen kühlt sich nun deutlicher ab
Die Erwartungen einer konjunkturellen Eintrübung zeigten sich nun mehr und mehr in den Daten. So ist der Einkaufsmanager-Index für die deutsche Wirtschaft im Juli unter die kritische Marke von 50 Punkten gefallen. Auch das ifo Geschäftsklima hat deutlich nachgelassen. Der Index fiel um 3,6 Punkte und damit stärker als von der Konsensmeinung erwartet wurde. Es ist der niedrigste Wert seit Juni 2020. Die aktuelle Lage hat sich erneut verschlechtert. Der Indes sank um 1,5 Punkte. Einen deutlichen Dämpfer erhielten die Geschäftsperspektiven. Dieser Index sank um 5,2 Punkte. Stärkere Abstürze gab es zuletzt nur zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 und nach dem russischen Angriff auf die Ukraine in diesem Jahr.
Viele Entwicklungen tragen aktuell zu der Stimmungseintrübung bei: Versorgungsunsicherheit vor allem bezüglich der Gaslieferungen aus Russland, die hohe Inflation und damit ein realer Einkommensverlust bei den Konsumenten, steigende Zinsen und damit weniger günstige Finanzierungsbedingungen, Rezessionssorgen in den USA sowie die anhaltende Unsicherheit hinsichtlich der Folgen der Null-Covid-Politik in China. Im Schatten der Konjunktureintrübung dürfte zudem ein verstärkter Margendruck bei den Unternehmen die Stimmung belasten.
Stimmung der Konsumenten ist auf Rekordtief
Das Konsumentenvertrauen ist trotz eines weiterhin noch robusten Arbeitsmarktes stark eingebrochen. Es ist auf ein Niveau gesunken, dass selbst in der Finanzkrise nicht erreicht wurde. Dies gilt für die Euro-Zone wie auch die USA. Der durch die rasant steigende Inflation induzierte Kaufkraftverlust belastet die Konsumlaune und -nachfrage. Unterstützt wird dies in den USA durch eine spürbare Zunahme der Zinsen. So gibt es wenig Zweifel: Die US-Wirtschaft, die primär durch den privaten Konsum getrieben ist, kühlt sich spürbar ab. Dies könnte bereits im Jahr 2023 zu ersten Leitzinssenkungen durch die Fed führen. Denn auch in den kommenden Monaten dürfte sich der Rückgang des Konsumentenvertrauens fortsetzen. Vorerst weiter steigende US-Zinsen aber auch ein sich abkühlender Arbeitsmarkt sollten dafür sorgen.
Relative Stimmungsentwicklung: Entscheidend für den Inflations- und Zinsausblick
Für die Beurteilung der Stimmung in der Wirtschaft ist vor allem zwischen Angebots- (ifo Geschäftsklima für die gewerbliche Wirtschaft) und Nachfrageseite (z. B. das Konsumentenvertrauen) zu unterscheiden. Schließlich hat eine Stimmungseintrübung auf der Angebotsseite andere Implikationen für die Inflationsentwicklung als auf der Nachfrageseite.
In einer Rezession sinkt die Wirtschaftsleistung, also die Produktion von Gütern und Dienstleistungen in einem Land, was auf den ersten Blick für Inflation sprechen würde. Dennoch besteht kein Zweifel, dass eine Rezession deflationären Druck verursacht. Der Grund liegt darin, dass die Nachfrage noch viel schneller reagiert als die Angebotsseite. In einer Rezession ergeben sich also trotz einer geringeren Produktion spürbare Überkapazitäten. Aktuell sinkt das Vertrauen auf der Angebots- und Nachfrageseite: Das Unternehmer- wie auch Konsumentenvertrauen trübt sich ein. Für den Inflationsausblick ist es jedoch entscheidend, dass sich die Stimmung auf der Nachfrageseite der Wirtschaft deutlich mehr eintrübt bzw. weniger schnell erholt als auf der Angebotsseite. Denn würde sich die Konsumlaune erholen – auch infolge der Unterstützung durch die Fiskalpolitik – und die Unternehmen wären dagegen pessimistisch gestimmt für die Zukunft und würden Investitionen zurückhalten, hätte dies klar inflationäre Effekte. Und in der Tat lassen sich hiermit einige Aspekte der aktuellen Inflationsentwicklung erklären. Aufgrund der hohen Unsicherheit infolge der Pandemie und aktuell auch durch den Krieg in der Ukraine hielten sich Unternehmen bei Investitionen zurück – die Nachfrage wurde hingegen durch Geld- und Fiskalpolitik gestützt – zumindest im Jahr 2020 und 2021. In Folge gab es eine Ausweitung der Gewinnmargen bei den Unternehmen und keine Kapazitätsausweitungen; damit kam es zu einem spürbaren Inflationsschub.
Der in dieser Schnelligkeit nie dagewesene Anstieg der deutschen Erzeugerpreise kann also auch dadurch erklärt werden, dass die Angebotsseite auf die robuste Nachfrage nicht mit Kapazitätsausweitungen und damit höheren Investitionen reagiert haben, sondern mit Preiserhöhungen und Ausweitung ihrer Gewinnmargen. Auch aktuell besteht diese Gefahr: Der Staat verspricht weitere Unterstützung der Verbraucher infolge eskalierender Energiepreise. Wäre diese Unterstützung von solch einem Ausmaß, dass die Kaufkraft und damit verbundene Konsumlaune stabilisiert wird, so wäre bei der aktuellen Investitionszurückhaltung mit weiterem Inflationsdruck zu rechnen. Dies ist allerdings nicht der Fall. Denn das Konsumentenvertrauen ist aufgrund der hohen Inflation eingebrochen, und der reale Konsum wird in Deutschland im weiteren Verlauf von 2022 sicherlich schrumpfen.
Empirische Analysen deuten darauf hin, dass in den letzten Jahren eine Veränderung des ifo Geschäftsklimas der Vorreiter für eine Eintrübung des Konsumentenvertrauens darstellte. Dies ist der klassische Verlauf: Eine Verschlechterung der Unternehmensstimmung schwappt auf den Arbeitsmarkt (Lohnmoderation, Sorge über Joberhalt) über und führt zu einer Eintrübung des Konsumklimas, was wiederum Deflationsdruck in der Wirtschaft verursacht. Die aktuelle Dynamik unterscheidet sich also grundsätzlich von den historischen Verläufen. Doch wie wird sich die nie dagewesene Diskrepanz zwischen der Stimmung auf der Angebots- und Nachfrageseite schließen? Solange sich die Fiskalpolitik zurückhält, ist von keiner spürbaren Erholung des Konsumentenvertrauens auszugehen. Im Gegenteil, reale Einkommensverluste und steigende Zinsen belasten die Stimmung. Für eine geringere Inflation ist es aber auch entscheidend, dass sich die Unternehmerstimmung weiter eintrübt. Denn nur dann sollten spürbare Zweitrundeneffekte infolge von nennenswerten Lohnanstiegen überschaubar bleiben. So braucht es eine Eintrübung der Unternehmerstimmung, um eine spürbare Erholung der Löhne und damit der Nachfragestimmung zu verhindern. Die heutigen ifo-Zahlen stärken demnach die Erwartung von weiterhin nur moderat steigenden EZB-Zinsen. Allerdings muss dafür die Eintrübung des ifo Geschäftsklimas in den kommenden Monaten anhalten.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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