[IKB-Kapitalmarkt-News vom 2. September 2020]

Fazit: Es sind nicht US-Zollpolitik von Präsident Trump oder andere protektionistische Anstrengungen, die der Globalisierung nennenswerten Gegenwind verschaffen. Es ist eher der schwache Konjunkturverlauf im Jahr 2019 und insbesondere infolge der Coronakrise in diesem Jahr.

Wird im Jahr 2021 kein synchroner globaler Aufschwung stattfinden, wird sich auch der Offenheitsgrad der Weltwirtschaft kaum erholen. Beides belastet den Ausblick für das Verarbeitende Gewerbe am Produktionsstandort Deutschland. Infolgedessen könnte es sich trotz aktuell guter Zahlen hinziehen, bis die Produktion ihr Vorkrisenniveau erreicht, das Ausfallrisiko für das Jahr 2021 ist nicht zu unterschätzen. So bleibt die mittelfristige Wachstumsperspektive trotz ermutigender Aufholeffekte mit schwer greifbaren Risiken behaftet.  

Aktuelle Dynamiken des Welthandels

Das deutsche Verarbeitende Gewerbe (VG) holt auf; aufgrund des Einbruchs im März und April eine nicht ganz überraschende Entwicklung. Doch was passiert nach den aktuellen Aufholeffekten? Wie nachhaltig wird die Eigendynamik der Industrie das Wachstum weiter vorantreiben? In der Finanzkrise hat die Produktion rund 3 Jahre gebraucht, um wieder ihr Vorkrisenniveau zu erreichen. Aktuell sind zwar die Aufholeffekte deutlich stärker ausgeprägt als in der Finanzkrise; allerdings belasten mehr Risiken den mittelfristigen Ausblick. Zu diesen Unwägbarkeiten gehört die Möglichkeit eines erneuten Shutdowns im Falle eskalierender Infektionszahlen. Mittelfristig besteht zudem die Gefahr, dass regionale Krisenherde infolge von Corona eine synchrone globale Erholung verhindern und so den Welthandel negativ beeinflussen. Was würde dies für die Globalisierung und für den Ausblick des Verarbeitenden Gewerbes vor allem im Jahr 2021 bedeuten? 

Seit der Amtsübernahme von Präsident Trump im Jahr 2016 bleiben Protektionismus und auslaufende Globalisierungsdynamiken bestimmende Themen, wenn es darum geht, mittel- bis langfristige Wachstumsperspektiven zu beurteilen. Auch der demokratische Präsidentschafts-Kandidat Joe Biden scheint nicht abgeneigt zu sein, Zölle als Druckmittel der US-Handelspolitik zu nutzen. Die Coronakrise hat diese Sorgen weiter befeuert. So wird befürchtet, Corona führe zum Rückgang globaler Lieferketten und zum Wunsch nach mehr Unabhängigkeit von Importen. Doch trotz anhaltender Befürchtungen eines rücklaufenden Welthandels hat dieser auch seit dem Start Donald Trumps als Präsident der USA deutlich zulegen können. Es sind weniger Zölle, die den Welthandel bestimmen; vielmehr ist es die globale Konjunktur. Dies zeigt auch die Entwicklung des Containerumschlags in Abbildung 1.

Der Offenheitsgrad der Weltwirtschaft (Weltexporte in % des Welt-BIP) hat sich seit der Finanzkrise eher seitwärts entwickelt. Allerdings ist er infolge des Beitritts Chinas zur WTO zwischen 2003 und 2008 besonders stark angestiegen. Auch mag die zunehmende Bedeutung lokaler Produktion eine Rolle spielen: Deutsche Unternehmen produzieren vermehrt vor Ort, anstatt fertige Güter zu exportieren. Bei einem deutschen Potenzialwachstum von deutlich unter dem der Weltwirtschaft (1,5 % versus 3,5 %) ist diese Entwicklung nicht überraschend und eine notwendige Konsequenz für Unternehmen, um globale Marktanteile zu behaupten. So mag Deutschlands Anteil an globalen Exporten prozentual nachlassen; ein Zeichen reduzierter Wettbewerbsfähigkeit oder Globalisierung ist dies allerdings nicht. Ebenfalls scheint der globale Offenheitsgrad weiterhin einen grundsätzlich positiven Trend zu zeigen, auch wenn er im Jahr 2020 infolge des wirtschaftlichen Einbruchs durch die Coronakrise voraussichtlich deutlich zurückgehen wird (siehe Abb. 2). 

Globalisierung hat viele Dimension und ist auch nach oder wegen Corona nicht zu stoppen  

Kritik an der weiteren weltweiten Vernetzung von Handel, Investitionen, Produktion und Kapital gibt es so lange, wie die Weltwirtschaft dabei ist, sich enger zu verzahnen. Im Kern geht es jedoch weniger um die eigentliche Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen als um die daraus folgenden Anpassungs- bzw. Verteilungsprozesse bei Konsumenten und Arbeitnehmern. So argumentieren prominente Volkswirte wie Joseph Stiglitz schon länger, dass es klar identifizierbare Gewinner und Verlierer der Globalisierung gibt.  

Globalisierung führt zu einer effizienteren Allokation von Produktionsfaktoren und somit zu einem größeren Potenzialwachstum. Diese Aussage bleibt generell unbestritten. Ergeben sich durch die Globalisierung jedoch höhere Volatilitäten, die sich wiederum in Lieferketten und im Investitionsverhalten zeigen, so mag der Wachstumsvorteil durch Globalisierung weniger ausgeprägt ausfallen als ursprünglich erwartet. Gerade im Zusammenhang mit der Coronakrise wird argumentiert, dass die Globalisierung infolge von Brüchen in Lieferketten auf der Angebots- wie Nachfrageseite den Rückwärtsgang einlegen könnte. Anders ausgedrückt: Die Unsicherheiten in den globalen Lieferketten würden bis dato unterschätzt und als Folge von Corona käme es zu einer Rückverlagerung der Produktion an die Heimatstandorte der Unternehmen. Doch nachvollziehbar ist diese Argumentation nur begrenzt. Denn aus der Portfoliotheorie ist bekannt, dass Diversifikation wichtig ist, um Risiken zu managen. So würde ein alleiniger oder verstärkter Fokus auf den heimatlichen Produktionsstandort neue Risiken mit sich bringen – vom fehlenden Wachstumspotenzial ganz zu schweigen. Aus diesem Grund zeigen global agierende Unternehmen grundsätzlich eine relativ stabile Bilanz. Auch sind es aktuell vor allem globale Impulse, die wichtige Beiträge für die konjunkturelle Erholung liefern und von denen gerade eine offene Volkswirtschaft wie Deutschland profitiert.

Das Risiko für die Weltwirtschaft und die Globalisierung ergibt sich – vor allem mittelfristig – weniger aus strukturellen Implikationen infolge Corona, als aus durch die Krise verursachten Wachstumseinbrüchen. Empirische Analysen bestätigen, dass globales Wachstum und Welthandel sich gegenseitig verstärken. Sinkt das Wachstum, belastet dies den Offenheitsgrad der Weltwirtschaft. Reduziert sich wiederum der Offenheitsgrad – etwa durch Protektionismus –, so belastet dies das Wachstum der Weltwirtschaft. Aktuell besteht vor allem die Gefahr, dass fehlendes globales Wachstum den Offenheitsgrad der Weltwirtschaft auch mittelfristig belasten könnte. Da die Produktion im deutschen Verarbeitenden Gewerbe aber maßgeblich vom Offenheitsgrad der globalen Wirtschaft bestimmt wird, könnte sich ein erhöhtes Wachstumsrisiko ergeben, vor allem was den Ausblick 2021/22 angeht. Die aktuelle Erholungsrate in der Produktion wäre dann nicht lange haltbar und sicherlich kein Indiz für eine anhaltende Besserung.  

Implikationen einer schwachen globalen Konjunktur nicht zu unterschätzen  

Auch wenn die Argumente für eine anhaltende Globalisierung überzeugend sind und der Offenheitsgrad der deutschen Wirtschaft die letzten Jahre weiter angestiegen ist, so ist das Risiko einer weniger dynamische Erholung im Welthandel infolge einer sich hinziehenden Coronakrise durchaus präsent. Die IKB hat zwei Szenarien für diese Entwicklung angenommen. Im Basisszenario erholt sich der Offenheitsgrad der Weltwirtschaft (Exporte in % des Welt-BIP), entsprechend der Dynamik nach der Finanzkrise. In diesem Szenario wird die Weltwirtschaft im Jahr 2022 das Vorkrisenniveau erreichen. Im alterativen Szenario erholt sich der Welthandel aufgrund der anhaltenden Coronakrise oder weitreichenden protektionistischen Maßnahmen deutlich weniger schnell. Der Offenheitsgrad der Weltwirtschaft wird weder im Jahr 2021 noch im Jahr 2022 das Vorkrisenniveau erreichen (siehe Abb. 2). 

Daraus ergeben sich folgende Einschätzungen und Ergebnisse:

  • Aktuell wird die Erholungsdynamik des Verarbeitenden Gewerbes von Aufholeffekten getrieben, die auch in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2020 teilweise noch anhalten sollten. Der Ausblick für die Jahre 2021 und 2022 wird hingegen vor allem von der Entwicklung der globalen Konjunktur bestimmt. 
  • Ein sinkender oder weniger starker Anstieg des globalen Offenheitsgrades dämpft die globale Wachstumsdynamik und den deutschen Offenheitsgrad. Beides würde den Ausblick für das Verarbeitende Gewerbe belasten.  
  • Nicht nur das Risiko einer zweiten Infektionswelle und womöglich eines erneuten „Lock-down“ belastet den Ausblick für das Verarbeitende Gewerbe, sondern insbesondere fehlende globale Wachstumsimpulse.
  • Im Basisszenario erreicht die Produktion ihr Vorkrisenniveau des Jahres 2019 im Jahr 2021. Im alternativen Szenario ist das erst im Jahr 2023 der Fall.  
  • Ein Produktionsniveau auf Vorkrisenniveau im Verlauf des Jahres 2021 hängt maßgeblich davon ab, ob Welthandel und -konjunktur wieder ausreichend Dynamik ausweisen. Zwar ist China inzwischen einer der bedeutendsten Produktionsstädten für das Verarbeitende Gewerbe, was die Relevanz der dortigen Erholung verdeutlicht. Für den Produktionsstandort Deutschland ist allerdings die globale Wachstumsdynamik der Industrie entscheidend, und nicht nur die Chinas.
  • Kommt es aufgrund einer anhaltenden Coronakrise zu keiner synchronen Erholung im globalen Wirtschaftswachstum bzw. im Welthandel, so ist am Produktionsstandort Deutschland nicht mit einer schnellen Rückkehr zum Vorkrisenniveau zu rechnen. Das Risiko einer sich hinziehenden Erholung und damit steigenden Insolvenzen ist deshalb trotz der aktuell positiven Erholungsdynamik im Verarbeitenden Gewerbe nicht zu unterschätzen.  

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