Der Koalitionsvertrag in Kombination mit dem Sondervermögen wird Deutschland aus der Stagnation führen. Die Nachhaltigkeit mancher Ausgaben kann zwar angezweifelt werden – auch wenn die zukünftige Bundesregierung sehr optimistisch ist. Grundsätzlich sollten die Maßnahmen aber positiv gesehen werden. Nach einer dreijährigen Phase der wirtschaftlichen Stagnation und angesichts der zunehmenden Deindustrialisierung belastet jedes weitere Quartal des Stillstands und niedriger Investitionen das Potenzialwachstum. Zudem ist der Konjunkturausblick aufgrund globaler Unsicherheiten getrübt. Deutschland muss wieder selbstbestimmt agieren, was durch effektive Angebotsreformen erreicht wird. Von daher kann die Bedeutung des Koalitionsvertrags im Kontext der globalen Entwicklungen nicht überbetont werden – auch wenn er in vielen Aspekten vielleicht nicht weit genug geht.

Der Koalitionsvertrag greift eine Reihe von Themen auf, die in der Diskussion um den Standort Deutschland und seiner fehlenden Investitionsbereitschaft immer wieder im Fokus stehen. Hierzu zählen u. a. Maßnahmen zu Energiepreissenkungen (Senkung der Stromsteuer, Abschaffung der Gasspeicherumlage) und zum Bürokratieabbau sowie die Streichung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Darüber hinaus sollen gezielte Steuersenkungen Anreize für Mehrarbeit schaffen.
Sozialsysteme bleiben unangetastet
Das grundsätzliche Problem der hohen Steuerlast wird hingegen nur halbherzig angegangen, da der Staat in den kommenden Jahren auf Steuereinnahmen zur Finanzierung der Sozialsysteme angewiesen ist. Diese bleiben im Koalitionsvertrag größtenteils unberührt – sowohl im Bereich der Renten als auch im Gesundheitswesen. Es gilt die Hoffnung, dass eine wachsende Wirtschaft die Erwerbstätigenzahl erhöht bzw. ausreichende Steuereinnahmen generiert werden. So ist weiterhin von einem Staatshaushalt auszugehen, der die Priorität vor allem auf Umverteilung legt (s. Abbildung 1). Kurzfristige Wachstumsimpulse werden hingegen vor allem aus dem Sondervermögen erzeugt.
Koalitionsvertrag rechnet mit deutlichen Wachstumseffekten
Eine klare Priorität gilt der Verbesserung des Potenzialwachstums auf deutlich über 1 %. Aktuell wird es auf unter 0,5 % geschätzt. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Investitionsquote deutlich gesteigert werden. In den kommenden Jahren könnten staatliche Investitionen – finanziert durch das Sondervermögen – diesen Prozess einleiten. Hier erhofft sich der Staat deutliche positive Effekte für den Privatsektor. So geht der Koalitionsvertrag davon aus, dass jeder Euro staatlicher Investitionen das BIP um 3 € steigern wird. Aus IKB-Sicht ist dies unrealistisch, dennoch sollte sich zumindest kurzfristig ein spürbarer Nachfrageschub durch den Staat ergeben, der bereits im Jahr 2026 das BIP-Wachstum auf über 1 % anheben sollte.
Private Investitionen: Rückenwind, aber auch Aufbruch?
Ob diese Impulse nachhaltig sein werden und ein positiver Multiplikator erreicht werden kann, hängt entscheidend von der Wirksamkeit der Angebotsreformen ab. Zwar wird eine Reihe von Reformen angestoßen, doch bleibt abzuwarten, ob diese insgesamt eine Aufbruchstimmung bei den privaten Investitionen erzeugen wird. Eines steht jedoch fest: Der Koalitionsvertrag gibt privaten Investitionen und der deutschen Wirtschaft zumindest Rückenwind. Staatliche Investitionen, Reformansätze, aber auch direkte Investitionsstützen sowie verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten und ein Investitionsfonds (staatliches Kapital und Garantien) sollten hierfür sorgen. Zudem bekommen einzelne Industrien wie u. a. die Automobilindustrie weitere Unterstützung.
Verschärfung des Handlungsdrucks angesichts globaler Entwicklung
Nach Jahren der Stagnation und angesichts der aktuellen Entwicklungen um die US-Wirtschaftspolitik (s. Ausblick deutsche Exporte 2025: ein Jahr wie kein anderes) ist eine Kombination aus staatlicher Nachfragestimulierung und Reformansätzen absolut notwendig, um die deutsche Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen und sie aus der aktuellen Starre zu befreien. Der Koalitionsvertrag in Kombination mit den Ausgaben, finanziert durch das Sondervermögen, wird dies ermöglichen und somit die notwendige Grundlage für einen Anstieg des Potenzialwachstums und den Erhalt des Industriestandorts schaffen. Ob dies ausreicht, hängt maßgeblich von der konsequenten Umsetzung der im Koalitionsvertrag festgelegten Ziele und Absichten ab.
Kurz gesagt
Der Koalitionsvertrag und das Sondervermögen werden …
- für eine Stimmungsaufhellung sorgen
- deutlich höheres Wachstum infolge staatlicher Investitionen und Ausgaben im Jahr 2026 generieren
- Investitionsimpulse für den Privatsektor liefern
Der Koalitionsvertrag wird nicht …
- das grundsätzliche Problem des Renten- und Gesundheitssystems angehen
- den Druck auf den Staatshaushalt reduzieren
- maßgeblich die Steuerlast für Unternehmen senken
Der Koalitionsvertrag hofft …
- auf deutlich höheres Wachstum, um die Sozialsysteme finanzieren zu können
- darauf, dass 1 € staatlicher Infrastrukturausgaben zu 3 € BIP-Anstieg führen wird
- auf eine Steigerung des Potenzialwachstums von aktuell unter 0,5 % auf über 1 %
Investitionen werden gefördert durch …
- Nachfragestimulierung infolge staatlicher Ausgaben, finanziert durch das Sondervermögen, und höherer Verteidigungsausgaben
- degressive Abschreibung auf Ausrüstungsinvestitionen von 30 % für 2025, 2026 und 2027
- Investitionsfonds: Staatliche Bereitstellung von Kapital und Garantien
- Reform zur Beschleunigung des Bauens
- Technologieoffenheit
- Wachstums- und Innovationskapital (WIN-Initiative): Investitionen sollen laut Koalitionsvertrag auf über 35 Mrd. € ansteigen
- Senkung von Eigenkapitalanforderungen für Wagniskapital und Infrastrukturprojekte (Versicherungen)
- mittelfristige Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts
Industrien werden gefördert durch …
- pragmatische Energiepolitik
- Investitionsanreize (Abschreibungsmöglichkeiten)
- gezielte Industrieförderung
- Stahlindustrie: Nutzung von CCS-Technologie
- Chemie: Erarbeiten einer Chemieagenda 2045
- Automotive: Kaufanreize für E-Mobilität
- Bausektor: Hohe Staatsausgaben (Infrastruktur); Reform zur Beschleunigung des Bauens
- Energie: Anreize für 20 Gaskraftwerke
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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