[Healthcare, Pharma, Chemicals-Information vom 31. Januar 2020]

Crude-Oil-to-Chemicals-Technologien (COTC) werden im kommenden Jahrzehnt die Dynamiken der Petrochemie entscheidend beeinflussen. Dabei handelt es sich um Technologien, die Erdöl direkt für die Chemische Industrie nutzbar machen.

Mehr Chemie im Rohöl

Die klassische Wertschöpfungskette der Petrochemie beginnt mit einem Steamcracker, der Naphtha, also Rohbenzin oder Erdgas mithilfe von Dampf in Olefine und Aromate spaltet; diese Basischemikalien sind Ausgangsstoffe für viele andere Produkte der Chemischen Industrie. Naphtha selbst wird als Destillat direkt aus der Erdölraffinerie gewonnen.

Herkömmlicherweise wird der Großteil des Rohöls in einer Raffinerie zu fossilen Treibstoffen verarbeitet und nur 5 – 20 % werden der chemischen Industrie zugänglich gemacht. Durch den niedrigen Ölpreis wird das Geschäft mit Treibstoffen für die klassische Mineralölindustrie allerdings kontinuierlich unattraktiver. Deshalb haben die Unternehmen der Branche schon in der Vergangenheit in Steamcracker investiert, um ihrerseits eine tiefere Wertschöpfung zu generieren und Basischemikalien selbst herzustellen. BP rechnet damit, dass der Anteil Treibstoffe pro Barrel Öl in 2025 mit 58 % seinen Höhepunkt erreichen und die Nachfrage nach Benzin im Zuge der alternativen Antriebe ab 2030 global sinken wird. Der Anteil von chemisch nutzbaren Destillaten pro Barrel Öl wird hingegen von 16 % in 2020 auf 20 % in 2040 steigen. Um diesen Trend auszunutzen, investieren private chinesische Konzerne sowie das arabische Staatsunternehmen Saudi Aramco/SABIC in Technologien, die einen höheren Anteil des Rohöls für chemische Zwecke nutzbar machen.

Drei COTC-Technologien stehen derzeit im Fokus

Bisher gibt es drei mögliche Technologien, um eine Crude-Oil-to-Chemicals-Anlage aufzubauen. Die erste Form ist das direkte Einbringen von Rohöl in einen Steamcracker. Diese Technologie wird von ExxonMobil bereits seit 2014 in Singapur genutzt. Der Nachteil dieser Technologie ist, dass ausschließlich sehr leichtes Erdöl verwendet werden kann, da der Cracker ansonsten verstopft und sehr häufig gewartet werden muss. Neben ExxonMobil hat auch Shell ein Verfahren entwickelt, das die größten Probleme dieser Technologie beheben soll. Die zweite Technologie begründet sich auf Patenten, die von Saudi Aramco eingetragen wurden. Hierbei wird dem Steamcracker eine Hydro-Verarbeitungs- und Deasphaltierungseinheit vorgeschaltet, die ein paraffinhaltiges, deashpaltiertes und demetallisiertes Destillat produziert, das der Steamcracker wie Naphtha weiterverarbeiten kann. Die dritte Variante beinhaltet die Verarbeitung von Mitteldestillaten und Resten in einem Hydrocracker. Diese Technologie wird in der COTC-Anlage von Hengli verwendet. Hierbei werden Diesel und Produkte aus der Vakuumdestillation zu einem Naphtha-ähnlichen Destillat verarbeitet, welches später hauptsächlich in Aromate gespalten werden kann.

Crude-Oil-to-Chemicals: der Trend der 20er Jahre

Nachdem in den 10er-Jahren des neuen Jahrtausends in Nordamerika in erster Linie in Ethancracker investiert wurde, um von günstigem Schiefergas zu profitieren, verspricht die Crude-Oil-to-Chemicals-Technologie ein wichtiger Trend der 20er-Jahre zu werden. Allein die Größe der Anlagen wird einen nachhaltigen Effekt auf das Angebot und Nachfrage-Gleichgewicht des Petrochemiemarktes haben, da sie bis zu fünfmal so viele Basischemikalien produzieren wie große Steamcracker. Schnelle Inbetriebnahme wird ein entscheidendes Kriterium für den Erfolg der jeweiligen Anlage sein.

Die Beweggründe in COTC-Anlagen zu investieren sind von Region zu Region verschieden. In den USA ist der günstig verfügbare Rohstoff ein entscheidender Erfolgsfaktor, der jedoch teilweise schon die vorhandenen Ethancrackerkapazitäten auslastet. Im Mittleren Osten ist ebenfalls der günstig und in großen Mengen verfügbare Rohstoff Erdöl entscheidend. In China sind der große Absatzmarkt, geringe Exportkosten und niedrigere Steuern als auf Kraftstoffe Treiber von COTC-Investitionen. China könnte beispielsweise mit den bis heute angekündigten Investitionen in COTC-Komplexe seinen Bedarf an dem für die Produktion von Polyester und anderen Kunststoffen notwendigen Paraxylen fast komplett selbst decken und so für signifikante Überkapazitäten im globalen Markt sorgen. In Europa könnten vorteilhafte Kapitalkosten Investitionen begünstigen, wobei Nachhaltigkeitstrends und die schwache Nachfragedynamik große Komplexe unwahrscheinlicher machen. Der Vorteil von COTC-Anlagen ist, dass sie auch in kleinerem Maßstab gebaut werden können und zukünftig trotzdem eine Chemikalienausbeute von 60 – 80 % erreichen, verglichen mit 17 – 20 % in heutigen modernen Raffinerien wie Sadara. Noch in diesem Jahr sollen die ersten Projekte in den regulären Betrieb übergehen.

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Dennis Rheinsberg
Direktor und Head des Sektorteams Energy, Utilities & Resources
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