[Kapitalmarkt-News vom 28. Februar 2020]
Fazit:
Grundsätzlich sollte der Einfluss des Coronavirus auf die Weltwirtschaft nicht unterschätzt werden. Da zunehmend unsicher ist, wie lange der Virus grassieren wird, kann er die globale sowie deutsche Konjunktur womöglich nicht nur im ersten Quartal 2020 belasten, sondern sich auf das gesamte Jahr auswirken. Aktuelle Prognoserevisionen scheinen diese Entwicklung nicht ausreichend zu berücksichtigen.
China ist nicht nur der bedeutendste Motor für die Weltwirtschaft und die globale Industrieproduktion. Ein Wachstumseinbruch infolge einer Krise birgt zusätzliche globale Risiken, da er zu erhöhter Unsicherheit in der Realwirtschaft führt. Deshalb sind die Abwärtsrisiken aus China für das weltweite Wachstum ebenso wie für die deutsche Industrie nicht banal.
Die IKB erwartet für 2020 nach einem Rückgang von 4,5 % im letzten Jahr dennoch eine Stabilisierung bzw. ein leicht positives Wachstum der deutschen Industrieproduktion. Ein niedrigeres Wachstum in China könnte allerdings bis zu einem Prozentpunkt Wachstum kosten.
Hoffnungen, der Coronavirus belaste lediglich das erste Vierteljahr 2020, sind angesichts der weiteren globalen Ausbreitung immer weniger haltbar. So muss nicht nur von einem deutlichen Rückgang des chinesischen BIP im Anfangsquartal 2020 ausgegangen werden, sondern auch von einem schwächeren Verlauf im gesamten weiteren Verlauf 2020. Welche Folgen könnten sich durch solch eine Entwicklung für die Weltkonjunktur und für die deutsche Industrie ergeben?
Chinas Einfluss auf die Weltwirtschaft – in einer Krise deutlich stärker
Waren früher vor allem die USA entscheidender Wachstumstreiber der Weltwirtschaft, gibt es seit 2010 eigentlich nur noch einen bestimmenden Treiber: China. Das bestätigen empirische Analysen, während die Bedeutung anderer Volkswirtschaften für die Periode 2010 bis 2019 empirisch nicht signifikant ausfiel.
Zwar tragen die USA aktuell etwa 0,4 Prozentpunkte zum globalen Wirtschaftswachstum bei. Bei einer globalen Dynamik von im Schnitt über 3 % beläuft sich der Anteil der USA auf etwas über 10 %. Chinas Beitrag beträgt hingegen mehr als 30 %, mindestens ein Drittel des globalen Wirtschaftswachstums kommt folglich aus China. Doch der Wachstumsbeitrag allein unterschätzt die tat- sächliche Bedeutung Chinas, da er nur die reine Gewichtung berücksichtigt. Die Vernetzung Chinas als Nachfrager und Zulieferer im globalen Produktionsprozess erhöht die Bedeutung Chinas für die Weltwirtschaft und die globale Wertschöpfung. Dies zeigt sich auch an der ausgeglichenen chinesischen Leistungsbilanz. Es sind Größe der Wirtschaft, die Stärke des Wachstums und die zunehmende globale Integration der chinesischen Produktion, die das Land zum wichtigsten Treiber der Weltwirtschaft gemacht haben.
Aufgrund seines Anteils an der Weltwirtschaft hat ein chinesischer Wachstumsrückgang um einen Prozentpunkt einen globalen Rückgang des Wirtschaftswachstums von mindestens 0,2 Prozentpunkten zur Folge. Dies stellt eine Untergrenze dar, da hier nur das chinesische BIP berücksichtigt wird. Empirische Schätzungen deuten darauf hin, dass der tatsächliche Einfluss Chinas auf das globale Wirtschaftswachstum seit 2010 angestiegen ist. Sinkt das chinesische BIP-Wachstum um einen Prozentpunkt, verringert sich das Weltwachstum nicht nur um 0,2 Prozentpunkte, sondern um bis zu 0,4 Prozentpunkte. Für die globale Industrie ist die Bedeutung Chinas noch höher: Ein Rückgang der chinesischen Industrieproduktion um 1 % würde die Dynamik der globalen Industrie um 0,5 bis 0,6 Prozentpunkte belasten.
Die chinesische BIP-Wachstumsrate hat sich seit 2010 um rund 4 Prozentpunkte reduziert. Bedeutet dies, dass das Weltwirtschaftswachstum entsprechend um 0,8 bis 1,6 Prozentpunkte belastet wurde? Sicherlich nicht, denn der Wachstumsbeitrag Chinas ist aufgrund des zunehmenden BIP der Volkswirtschaft relativ stabil geblieben. Damit sollte auch in Zukunft der Einfluss eines geringeren chinesischen Wirtschaftswachstums durch das weiter steigende BIP und damit den zunehmenden Anteil Chinas am Welt-BIP relativiert werden. Ein überproportionaler Konjunktureinbruch in China infolge des Coronavirus würde allerdings den globalen Wachstumsbeitrag der Volkswirtschaft deutlich belasten, da das Gewicht Chinas für die Weltwirtschaft kurzfristig nicht so stark zulegen bzw. relativ stabil bleiben sollte.
Die anhaltende Ausbreitung des Coronavirus kann dazu führen, dass sich die wirtschaftlichen Konsequenzen nicht nur im ersten Quartal 2020 zeigen werden; das chinesische BIP-Wachstum für das gesamte Jahr könnte belastet werden. Der Grund hierfür ist vor allem die drastische Reaktion der chinesischen Behörden, die durch ihre Maßnahmen einen großen Teil ihrer Wirtschaft kurz- fristig lahmgelegt haben. Da sich der Virus nicht so schnell eindämmen lässt wie erwartet, werden die Behörden zwar gezwungen sein, die wirtschaftlichen Einschränkungen wieder etwas zu lockern. Dennoch, der Einfluss des Coronavirus dürfte die Konjunktur im gesamten Jahr 2020 belasten. Es ist nicht nur von einem saisonbereinigten Rückgang des chinesischen BIP im ersten Quartal auszugehen, auch die Aufholeffekte könnten weniger überzeugend ausfallen. Somit scheint ein BIP-Wachstum von unter 5 % im Jahr 2020 eher wahrscheinlich zu sein als eines von ca. 6 %.
Einschätzung: Die weltweite Konjunkturdynamik wird maßgeblich durch China geprägt. Ein Rückgang des chinesischen BIP- Wachstums um einen Prozentpunkt im Jahr 2020 infolge des Coronavirus könnte bis zu 0,4 Prozentpunkte globales Wachstum kosten – vor allem, weil es sich um eine womöglich längere Krise und keinen zyklischen Rückgang handelt. Dies allein reicht allerdings nicht aus, die Weltkonjunktur in eine globale Rezession zu stürzen. Dennoch scheint die Prognoserevision des IFW von -0,1 Prozentpunkte für 2020 nicht ausreichend zu sein. Das Risiko für wirtschaftliche Enttäuschungen bleibt hoch.
Was bedeutet dies für die deutsche Industrie?
Infolge der anhaltenden Unsicherheit über die Ausbreitung des Coronavirus wird zunehmend von einem Rückgang des deutschen BIP-Wachstums im ersten Quartal 2020 ausgegangen. Da der Wachstumsausblick für das erste Quartal allgemein nicht sehr positiv war, sollte die Bedeutung solch einer Entwicklung nicht überschätzt werden. Entscheidender ist die Frage, in welchem Maße im zweiten Quartal Aufholeffekte stattfinden werden. Dies gilt vor allem für die deutsche Industrie, die nicht nur infolge der globalen Konjunkturentwicklung, sondern auch aufgrund der lokalen Strukturprobleme zunehmend Gegenwind erhält (siehe IKB- Kapitalmarkt-News 6. Februar 2020). Sollte die Ausbreitung des Coronavirus die Weltwirtschaft nicht nur im ersten Quartal, sondern womöglich länger belasten, ergibt sich zudem das Risiko eines möglichen Inflationsanstiegs. Ein Produktionsrückgang stellt einen Angebotsschock dar, der bei gleicher Nachfrage zu Inflationsdruck führt. Hierfür wären aber anhaltende Störungen der Wirtschaftsdynamik einzelner Länder und internationaler Produktionsketten notwendig. Aus aktueller Sicht und in Anbetracht der Bestrebungen der chinesischen Regierung die Wirtschaftsdynamik wieder zu normalisieren, ist dieses Risiko auf globaler Ebene überschaubar.
Eine frühere IKB-Studie hat gezeigt, dass nur etwa die Hälfte des Einbruchs der deutschen Industrieproduktion im Jahr 2019 auf die Schwäche der globalen Konjunktur zurückgeführt werden kann. Der weltweite Industriezyklus hätte nach IKB-Schätzungen demnach lediglich zu einem Produktionsrückgang von ca. 2,5 % geführt. Das tatsächliche Minus von 4,5 % hatte also weitere und insbesondere lokale Gründe (siehe IKB-Kapitalmarkt-News 4. Februar 2020). Wieviel Auftrieb ist aus globaler Sicht für die deutsche Industrie im Jahr 2020 zu erwarten?
Die chinesische Industrieproduktion ist 2019 um 5,3 % gewachsen, verglichen mit 6,2 % im Jahr zuvor. Für 2020 wurden zwei Szenarien simuliert:
- Eine Verlangsamung der chinesischen Industriedynamik auf eine Rate von 4 % infolge anhaltender negativer Effekte des Coronavirus.
- Eine Erholung der Industrie in China mit einem Plus von 6 % und damit eine Rückkehr zu früheren Wachstumsraten. Das Coronavirus hätte somit wenig Einfluss auf den Gesamtjahresausblick.
Eine unerwartete Beschleunigung des chinesischen Industriewachstums von 5,3 % auf 6 % sollte der Dynamik der weltweiten Industrieproduktion im Jahr 2020 Auftrieb in Höhe von 0,4 Prozentpunkten und der deutschen Industrie in Höhe von 0,6 Prozent- punkten geben. Ein Rückgang der Wachstumsrate auf 4 % würde hingegen das weltweite Produktionswachstum mit 0,8 und das deutsche mit rund einem Prozentpunkt belasten.
Einschätzung: Die deutsche Industrieproduktion könnte infolge eines niedrigen industriellen Wachstums in China im Jahr 2020 mit bis zu einem Prozentpunkt belastet werden. Diese Schätzung ist sicherlich konservativ und liegt deutlich höher als allgemein erwartet wird, ist allerdings angesichts der Unsicherheiten über Dauer und Verlauf dieser Krise als durchaus realistisch anzusehen. Ob die Industrie am Produktionsstandort Deutschland im Jahr 2020 zulegen kann, hängt jedoch weiterhin und trotz der Auswir- kungen des Coronavirus nicht nur von China und globalen Faktoren ab, sondern auch und vor allem von inländischen Faktoren. Die IKB erwartet weiterhin eine konjunkturelle Erholung der deutschen Industrieproduktion in der zweiten Jahreshälfte 2020.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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