[Kapitalmarkt-News vom 2. Juni 2020]
Fazit:
Krisen prägen das private Investitionsverhalten in Deutschland und der Euro-Zone nachhaltig. Dies hat weniger mit der expansiven Geldpolitik und sogenannten Zombiefirmen zu tun, als mit der grundsätzlichen Verunsicherung über den mittel- und langfristigen wirtschaftlichen Ausblick. Eine Reihe von Krisen in den letzten Jahren hat die realwirtschaftliche Volatilität erhöht und so die Attraktivität von langfristigen Investitionen am Produktionsstandort Deutschland reduziert. Empirische Ergebnisse bestätigen diese Einschätzung.
So sind private Investitionen seit der Finanz- und Euro-Krise kein Wachstumstreiber mehr, sondern reagieren nur noch auf einen BIP-Anstieg. Die Folge ist eine eher stagnierende Investitionsquote. Und aufgrund der Coronakrise reicht eine konjunkturelle Stimulierung aktuell nicht aus, um die Attraktivität von langfristigen Investitionen am Produktionsstandort Deutschland zu stärken; erforderlich sind strukturelle Reformen.
Ausrüstungsinvestitionen seit der Finanzkrise wenig dynamisch
Um die kurz- wie mittelfristigen Konsequenzen der Coronakrise für die Realwirtschaft zu mildern, benötigt es Nachfrageimpulse – durch den Export oder die Fiskalpolitik –, um die Angebotsseite zu stimulieren. So ist auch die Idee eines Wiederaufbaufonds für Europa von Präsident Macron und Bundeskanzlerin Merkel durchaus zu begrüßen, vor allem wenn dadurch die Nachfrage ausreichend angeregt wird. Grundsätzlich sollte die globale Wirtschaft im dritten Quartal Aufholeffekte zeigen und auch die deutsche Wirtschaft und insbesondere das Verarbeitende Gewerbe stützen. Jüngste Zahlen aus China stärken diese Erwartung. Für eine nachhaltige Erholung ist allerdings eine Eigendynamik des Wirtschaftswachstums erforderlich. Hierfür ist Investitionsbereitschaft entscheidend.
Doch was bedeutet die Krise für das Investitionsverhalten in der Euro-Zone? Bereits nach der Finanz- und Euro-Krise hat die Investitionsbereitschaft in der europäischen Wirtschaft deutlich nachgelassen. Nicht zuletzt deshalb ist ein klassischer Konjunkturzyklus in den letzten 10 Jahren kaum noch erkennbar gewesen. Es scheint an positiven Erwartungen zu fehlen, die zu langfristigen Investitionen führen, welche der konjunkturellen Dynamik als Zugpferd dienen. Denn nach vielen Jahren stabilen Wirtschaftswachstums ist die private Investitionsquote, also der Anteil der Ausrüstungsinvestitionen am BIP, kaum gestiegen. Das gilt sowohl für die Euro-Zone wie Deutschland.
In der Diskussion um das maue Investitionsverhalten wird oftmals auf „Zombiefirmen“ verwiesen. Das sind Unternehmen, die nicht einmal ihre Zinslast erwirtschaften können und nur durch die niedrigen Zinsen der Notenbanken am Leben gehalten werden. Diese Unternehmen investieren wenig bis gar nicht und wären bei höheren Zinsen schon längst insolvent. „Indem sie solche Firmen am Leben halte, verschleppe die Geldpolitik eine sinnvolle Allokation von Kapital und sorge für ein stagnierendes Investitionsverhalten.“ Diese Kritik an der aktuellen Geldpolitik sollte sicherlich auch in den kommenden Jahren anhalten. Allerdings stellt sich die Frage, ob die stark zunehmenden Insolvenzen infolge der Coronakrise das Investitionsverhalten nicht noch stärker ausbremsen würden.
Ein träges Investitionsverhalten kann also nicht nur auf „Zombiefirmen“ zurückgeführt werden. Die Finanzkrise hat unternehmerische Entscheidungen nachhaltig geprägt und das Fundament grundsätzlich positiver Erwartungen geschwächt. Dies hat nicht nur kurzfristige oder zyklische, sondern auch permanente Unsicherheit bei Investitionsentscheidungen mit sich gebracht. Hier mag das Ausmaß der Finanzkrise aber auch daraus folgende anhaltende Diskussionen über Schuldentragfähigkeit, Geldpolitik und Euro-Erhalt eine Rolle spielen. Daraus resultierend wird nur noch investiert, wenn es notwendig ist, also infolge eines ansteigenden BIP, nicht aber aufgrund eines positiven unternehmerischen Ausblicks, der ebenfalls zu einer ansteigenden Investitionsquote führen sollte. Mit der Coronakrise besteht nun die Gefahr, dass sich dieses Verhalten nicht nur bestätigt, sondern weiter verstärken wird. Dies gilt vor allem für die Euro-Zone, wo ansteigende Staatsschuldenquoten erneut grundsätzliche Zweifel an der Nachhaltigkeit der Währungsunion aufkommen lassen.
Investitionsverhalten in volatilen Zeiten – Gedanken von Hyman Minsky
Die Argumente des Ökonomen Hyman Minsky haben seit der Finanzkrise zunehmendes Interesse geweckt. Er betonte, dass das kapitalistische System aufgrund der Tendenz zu aufbauenden Spekulationen und Blasenbildungen grundsätzlich instabil ist. Minsky betonte, dass Investoren wegen dieser Instabilität nicht langfristig orientiert sind, da die Volatilität andererseits die Möglichkeit bietet, durch Spekulationen relativ sichere kurzfristige Gewinne zu erzielen. Gemäß Minsky dominiert also in einer instabilen Wirtschaft das spekulative Verhalten über langfristige Investitionen. Deshalb verhindern Krisen demnach einen langfristigen Investitionsausblick und schaffen stattdessen Anreize für kurzfristige Investitionen. Das führt dazu, dass Unternehmen eher auf den Finanzmärkten investieren als in der Realwirtschaft. M&A-Transaktionen, Aktienrückkäufe und Finanzportfolien gewinnen in volatilen Zeiten an Bedeutung, während langfristige realwirtschaftliche Investitionen, die natürlich weniger liquide sind und deren Rendite relativ unsicher ist, weniger beliebt sind.
Eine abnehmende Vorhersehbarkeit, getrieben von Krisen, verhindert langfristige unternehmerische Investitionsentscheidungen. Risikoaversion dominiert die unternehmerische Entscheidung und verdrängt opportunistisches Handeln in der Realwirtschaft. Die relativ kurz aufeinander folgenden Krisen (Finanz-, Euro- und Coronakrise) zeigen, dass für ein Unternehmen lebensbedrohliche Situationen keine abnormale Entwicklung sind, sondern zunehmend zum „Alltag“ gehören. Die Idee vom „schwarzen Schwan“ – also die Vorstellung, dass realwirtschaftliche Krisen absolute Ausnahmen und damit höchst unwahrscheinlich sind – erweist sich als immer weniger realistisch.
Die Coronakrise bestätigt die Sorgen aus der Finanzkrise, dass die Zukunft immer schwerer abzusehen ist und erhöht somit das Risiko von langfristigen Investitionen. Die Finanzkrise, die bei vielen Unternehmen Narben hinterlassen hat, wird durch die Coronakrise wieder lebendig und hat so das private Investitionsverhalten auf Jahre geprägt. Lokale und globale Aufholeffekte sollten Nachfrageimpulse für die Angebotsseite der deutschen und europäischen Wirtschaft liefern und zu einem Produktionsanstieg führen. In welchem Ausmaß Investitionen auf solche Impulse reagieren werden und so einen Kreislauf von Investitionen und steigendem Einkommen und Nachfrage sicherstellen, bleibt abzuwarten. Bleiben Unternehmen bei Investitionen zurückhaltend, so ist der Einfluss der Fiskalpolitik auf die Wirtschaft schnell verpufft, aber kurzfristig dennoch umso notwendiger, um die Wirtschaft zu stabilisieren.
Empirische Analysen bestätigen: Investitionen leiden nachhaltig unter den Folgen von Krisen
Das deutsche Investitionsverhalten zeigt eine grundsätzliche Veränderung nach der Finanzkrise. Zwischen 1995 und 2007 waren Investitionen Treiber des BIP-Wachstums: Zuerst stiegen die Investitionen infolge von positiven langfristigen Erwartungen, daraus resultierte BIP-Wachstum. Investitionen waren der Motor des Wachstums. Seit der Finanzkrise ist es jedoch umgekehrt. Das BIP-Wachstum treibt die Investitionen. Wirtschaftswachstum ist erforderlich, bevor investiert wird. Ausrüstungsinvestitionen sind demnach keine Impulse für oder Treiber von Wachstum mehr, sondern Folge eines BIP-Anstiegs. Empirische Analysen bestätigen diese grundsätzliche Veränderung.
Das passive Investitionsverhalten zeigt, zunächst sind Wachstumsimpulse nötig, bevor Investitionen wieder zulegen. Dafür sind kurzfristige fiskalische Maßnahmen notwendig. Ohne sie wird der Kreislauf von Investitionen und Wachstum nicht in Gang kommen. Die empirischen Ergebnisse stärken die grundsätzliche Einschätzung, dass Unternehmen seit der Finanzkrise deutlich zurückhaltender investieren und dass die Erfahrungen aus der Krise immer noch bei den Erwartungen und Investitions-entscheidungen von Unternehmen eine Rolle spielen. Doch diese Erkenntnis gilt nicht nur für Deutschland, sondern für die gesamte Euro-Zone. Auch hier waren Investitionen früher Treiber der konjunkturellen Entwicklung und sind seit der Finanzkrise eher Reaktionen auf Wirtschaftswachstum. Minskys Argumentation einer reduzierten Bereitschaft für langfristige Investitionen infolge erhöhter Unsicherheit und Volatilität der konjunkturellen Entwicklung scheint sich zu bestätigen.
Welche Lehren sind zu ziehen?
Der Einfluss des aktuellen BIP-Wachstums auf Investitionen hat sich also seit der Finanzkrise erhöht. Anders ausgedrückt: Ein Prozentpunkt BIP-Wachstum hat in den letzten Jahren einen größeren Einfluss auf die Bereitschaft zu Ausrüstungsinvestitionen als vor der Finanzkrise. Diese empirischen Ergebnisse stärken das Argument für eine effektive fiskalische Stimulierung, um den Einbruch bei den Ausrüstungsinvestitionen im zweiten und voraussichtlich auch im dritten Quartal 2020 zu stoppen. Das BIP in der Euro-Zone muss ausreichend ansteigen, um einen positiven Investitionseffekt sicherzustellen. Das zurückhaltende Investitionsverhalten erhöht die Verantwortung des Staates, die Wirtschaft am „Laufen“ zu halten und genügend Impulse zu setzen, damit Unternehmen ausreichend investieren.
Nun wird vermehrt argumentiert, dass Unternehmen die Folgen der Coronakrise nicht überbewerten sollten. Dies mag ein Versuch sein, die negativen Erfahrungen der letzten Monate zu relativieren, um schnell zur Normalität zurückkehren zu können – vor allem im Hinblick auf Investitionen. Doch die Lehre aus der Krise sollte nicht sein, diese abzuhaken und daran zu glauben, dass wirtschaftliche Krisen abnormale Ereignisse sind. Die Lehre ist eher, dass wirtschaftliche Volatilität, zu denen auch Krisen gehören, Bestandteil der Normalität ist – gerade, weil Krisen mit einer nicht zu ignorierenden Wahrscheinlichkeit immer wieder eintreten. Nun mögen vorige Krisen, die vor allem auf den Finanzmärkten ihren Ursprung hatten, relativ wenig mit der aktuellen Situation zu tun haben. Doch die Implikationen sind dieselben: realwirtschaftlicher Einbruch, geldpolitische Reaktion, aufbauende Schuldenquoten. Die Lehre ist demnach, zunehmende Unsicherheit und Volatilität im unternehmerischen Entscheidungsprozess zu berücksichtigen.
Oftmals wird eine Umkehr bei der Globalisierung als Lösung angesehen. Die Produktion soll wieder zurückverlagert werden, um höhere Liefersicherheit zu garantieren. Doch die Lösung liegt eher in mehr Globalisierung als weniger. Bilanzen von global agierenden Unternehmen zeigen aufgrund ihrer Diversifikation auf der Produktions- und Nachfrageseite eine höhere Stabilität in ihren Kennziffern als regional ausgerichtete Unternehmen. Das zeigt auch die Entwicklung des deutschen Verarbeitenden Gewerbes im Jahr 2019. Und aktuell profitieren deutsche Firmen, die in China für den dortigen Markt produzieren, vom Ende des chinesischen Shutdowns. Anhaltende Globalisierung von Investitionen fördert jedoch nicht die Investitionsdynamik am Industriestandort Deutschland. Hierfür sind strukturelle Veränderungen notwendig. Die Attraktivität von realwirtschaftlich langfristigen Investitionen muss erhöht werden, um eine Dynamik wie vor der Finanzkrise sicherzustellen. Hierfür braucht es eindeutige und nachhaltige Anreize, zum Beispiel durch bessere Abschreibungsmöglichkeiten, effektiv sinkende Steuerlast, transparente Umweltpolitik sowie grundsätzliche Förderung des Wettbewerbsstandorts Deutschland. Die Konsequenzen der Coronakrise und der immer noch spürbaren Finanz- und Euro-Krise können nur ausreichend adressiert werden, wenn der Investitionsstandort Deutschland trotz oder gerade wegen der anhaltenden Volatilität attraktive reale Investitionsmöglichkeiten bietet. Nicht nur fiskalische Maßnahmen zur kurzfristigen Stützung der Wirtschaft belasten also die unternehmerische Investitionsbereitschaft, sondern vor allem auch strukturelle Hürden. Es besteht die Gefahr, dass die Coronakrise die Dynamiken der Finanzkrise bestätigt und verhindert, dass Investitionen wieder zum Wachstumstreiber in Deutschland werden. Dies – und nicht die Begrenzung der Schuldenquote – muss im Fokus der zukünftigen Wirtschaftspolitik stehen.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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