[Kapitalmarkt-News vom 9. April 2020]
Fazit: „Wird weniger produziert als nachgefragt, kommt es zur Inflation.“ Diese Befürchtung wird auch im Kontext der aktuellen Coronakrise immer wieder geäußert. Empirische Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass es umgekehrt ein Produktionsschub ist, der eine Erholung der Nachfrage einleitet. Ein Ungleichgewicht in der Wirtschaft infolge eines Produktionseinbruchs ist demnach nicht zu erwarten, denn dieser würde die Nachfrage über nachlassendes Vertrauen, höhere Arbeitslosigkeit und Einkommensverluste reduzieren und eine Inflation verhindern. Ein Inflation generierender Angebotsschock führt also in aller Regel zu einer ausgleichenden Nachfragekorrektur. Deshalb ist in Krisenzeiten ohne fiskalische Stützung und soziale Sicherheitsnetze auch eher eine Deflation wahrscheinlich als eine Inflation – wie die große Depression in den Jahren 1929 bis 1932 gezeigt hat.
Die Fiskalpolitik der Bundesregierung hat sich vor allem auf die Angebotsseite der Wirtschaft fokussiert. Es geht ihr weniger um die Stimulierung der Nachfrage als vielmehr um die Aufrechterhaltung von Produktionskapazitäten. Eine effektive Nachfragestimulierung – etwa durch Helikoptergeld – wäre aktuell schwer zu realisieren und würde eher für Inflation sorgen als für Wachstum. Eine deutlich anziehende Nachfrage in Folge von Aufholeffekten sollte hingegen kaum zu Inflationsgefahr führen. Empirische Schätzungen deuten darauf hin, dass die Angebotsseite in Erholungsphasen nach Krisen deutlich sensitiver auf die lokale Nachfrage reagiert als in „normaleren“ Zeiten. Dies gilt für Deutschland ebenso wie für die Euro-Zone.
Eine Implikation der Coronakrise, die immer wieder diskutiert wird, ist die Möglichkeit eines Inflationsschubs. Denn die Produktion in vielen Ländern ist zunehmend zum Erliegen gekommen und es droht eine Unterversorgung, die zu höheren Preisen führen könnte. Dies könnte vor allem dann eintreten, wenn der „Angebotsschock“ aufgrund stillgelegter Fabriken länger anhält als nur ein paar Wochen. Dazu kommt die Sorge, die globalen Produktionsketten könnten erst mittelfristig wiederhergestellt sein, was im Kontext der globalen Vernetzung zu Lieferengpässen führen würde. Aktuell dämpfen zwar insbesondere Rohstoffpreise und Energiekosten den allgemeinen Preisanstieg. Eine möglicherweise schnelle Erholung der Nachfrage, auch durch Aufholeffekte, schürt allerdings die Furcht vor ansteigendem Preisdruck– vor allem wenn der Angebotsschock anhält bzw. die lokale Angebotsseite nicht schnell genug anspringt.
Reagiert die lokale Angebotsseite nicht ausreichend auf einen Nachfrageschub, steigt nicht nur die Inflation, auch die Anzahl der Importe nimmt zu. Ob Inflation oder mehr Importe, beides bedeutet, dass die Nachfrageerholung oder -stimulierung nur begrenzt Wachstum schafft. Eine Nachfragestimulierung, zum Beispiel durch fiskalische Maßnahmen, wäre dann wenig effektiv, um die Wirtschaft aus einer Stagnation oder einem anhaltenden Schock zu befreien. Ist die Inflationssorge berechtigt, und wo sollte die Fiskalpolitik ansetzen?
Fiskalpolitik fokussiert sich auf die Angebotsseite der Wirtschaft
Die Fiskal- sowie Geldpolitik in der Euro-Zone versucht primär, die realwirtschaftlichen Implikationen der Coronakrise abzufedern. Sie sichert ein Mindesteinkommen durch ausgeweitete Sozialsysteme und stellt Liquidität für Unternehmen bereit. Auch wird mit Kurzarbeit in Deutschland sichergestellt, dass die Produktion bei ansteigender Nachfrage relativ schnell hochgefahren werden kann. Insgesamt können also die fiskalpolitischen Maßnahmen der deutschen Regierung als Stützungen der Angebotsseite eingestuft werden. Zwar ergeben sich auch Transferzahlungen durch die Kurzarbeitsregelung, um den Einkommenseffekt der Krise abzufedern. Diese Maßnahmen sind allerdings bei weitem nicht ausreichend, um in der aktuellen Zeit hoher Unsicherheit einen effektiven Nachfrageschub sicherzustellen. Dies zeigt sich auch am GfK-Konsumklima, das genauso eingebrochen ist wie das ifo Geschäftsklima, welches die Stimmung der Angebotsseite spiegelt.
Der deutsche Staat hat bisher keine Stützung in Form von Transferzahlungen an Privatpersonen vorgenommen, um die Nachfrage zu stimulieren. Der Fokus liegt klar auf der Aufrechterhaltung der Angebotsseite. Diese Strategie hat sich bereits in der Finanzkrise bewährt, als die Wirtschaft die Produktion relativ schnell wieder hochfahren konnte, es kam zu Wirtschaftswachstum statt zu Inflation und Importschüben. Damit stellt sich die Frage, auf was die Angebotsseite reagiert? Benötigt sie keine Nachfrage aus dem In- und Ausland? Macht nicht eine Stimulierung der Wirtschaft durch Nachfrageimpulse Sinn – vor allem, wenn sich die Auswirkungen der aktuellen Krise lokal wie global länger hinziehen als erwartet?
In Krisenzeiten treibt das Angebot die Nachfrage
Empirische Analysen auf Basis der Quartalsdaten von 1995 bis 2019 zeigen, dass ein Angebotsschub in aller Regel kurz vor einer Erholung der Nachfrage einsetzt. Das Saysche Theorem, Angebot schaffe seine eigene Nachfrage, scheint zumindest in Krisenzeiten relevant zu sein. Zunächst mag dies befremdlich klingen. Schließlich ist auf Unternehmensebene ein volles Auftragsbuch notwendig, um die Produktion anlaufen zu lassen – demnach würde sich also zuerst die Nachfrage beleben und dann Produktion und Angebot. Allerdings führt ein Einbruch der Angebotsseite über Löhne, Arbeitslosenquoten und Konsumvertrauen zu einem Nachfrageschock. Deshalb verursacht ein Schock auf der Angebotsseite eine Reaktion auf der Nachfrageseite der Wirtschaft – zumindest in Bezug auf die lokalen Nachfrager, deren Einkommen von der Produktion bestimmt wird. Anders herum funktioniert die Kausalkette weniger. Ohne steigendes Einkommen in Folge einer sich erholenden Angebotsseite ist keine effektive Nachfrage als Impuls möglich. Dies kann dann nur exogen – also infolge von fiskalischen oder geldpolitischen Maßnahmen – ausgelöst werden.
Für die Euro-Zone sowie Deutschland gilt, die Angebotsseite reagiert zuerst und verursacht dann eine Stimmungsaufhellung, die zur Nachfragebelebung führt. In der Vergangenheit mag es zu fehlenden Nachfrageimpulsen gekommen sein, weil fiskalische Maßnahmen auf der Nachfragerseite nicht ausreichend waren, um einen genügend großen Impuls zu liefern, der die Angebotsseite spürbar beeinflusst hätte. Zwar unterstützte der Staat auch die Nachfrageseite durch fiskalische Maßnahmen. Der Fokus lag jedoch auf Stabilisierung und nicht auf Stimulierung. Deshalb folgte einem Angebotsschock auch immer ein Nachfrageschock. Empirische Ergebnisse deuten auch aktuell darauf hin, dass der Schock auf der Angebotsseite zu keinem bedeutenden Inflationsdruck führen wird, da eine Nachfrageerholung nicht unabhängig von der Angebotsseite zu erwarten ist. Ein deutliches Ungleichgewicht in der Wirtschaft ist demnach in der aktuellen Krise eher unwahrscheinlich.
In der großen Depression zwischen 1929 und 1933 ging das US-BIP in Folge fehlender Stützungsmaßnahmen der US-Regierung um 30 % zurück, die Industrieproduktion halbierte sich fast. Trotz dieses gigantischen Angebotsschocks fielen die Preise allerdings deutlich – 1932 lag die Inflationsrate bei -10 % – da der negative Nachfrageschock noch bedeutender war; denn die Arbeitslosenquote erreichte im Jahr 1932 25 %. Somit ist aktuell eher die Furcht vor einer sinkenden Inflationsrate begründet, allerdings nur so lange, wie die Krise anhält. Der Sozialstaat sowie ein hohes Pro-Kopf-Vermögen verhindern allerdings aktuell einen überzogen negativen Nachfrage- und damit Deflationsschock, zumindest in der Euro-Zone und in Deutschland.
Helikoptergeld – Timing ist alles
Aktuell wird Helikoptergeld mehr und mehr als weiteres Mittel zur Bekämpfung der Coronakrise ins Spiel gebracht. In Abhängigkeit vom Volumen könnte das durchaus für Inflation sorgen. Denn die Geldmenge in der Realwirtschaft würde sofort ansteigen und zu einem effektiven Nachfrageanstieg führen, der jedoch aufgrund des Angebotsschocks nicht zufriedenstellend bedient werden könnte. In diesem Falle wäre der Ausgangspunkt in der Tat die Nachfrageseite.
Führt Helikoptergeld relativ schnell zu Wirtschaftswachstum, könnte dies einem Inflationsanstieg entgegenwirken. In der aktuellen Krise, die von der Angebotsseite eingeleitet wurde, dürfte dies allerdings kaum der Fall sein. Helikoptergeld würde als Stimulierungsmaßnahme also nur dann Sinn machen, wenn sich die Produktion bzw. Angebotsseite bereits stabilisiert hat, es aber an effektiver und ausreichender Nachfrage fehlt. Da jedoch eine Angebotserholung auch die Nachfrageimpulse liefert, ist die Notwendigkeit solch einer Politik fraglich. Entscheidend ist eher, dass die Angebotsseite einen ausreichend großen Aufholeffekt zeigt.
Auch in den USA wird die Nachfrage trotz direkter Transferzahlungen angesichts fehlender sozialer Sicherheitssysteme dem Angebotsschock folgen, sodass auch dort von keinem erhöhten Inflationsdruck auszugehen ist. Der aktuelle und beispiellose Sprung der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe zeigt bereits in diese Richtung. Angesichts des Stimmungseinbruchs der US-Haushalte würde Helikoptergeld aktuell kaum Wachstumsimpulse liefern. Aber auch ein Inflationsanstieg wäre nicht zu erwarten, da von einer erhöhten Risikoaversion der privaten Haushalte mangels sozialer Sicherungssysteme auszugehen ist.
Aufholeffekte der Nachfrage sind wachstums- und nicht inflationsfördernd
Um anhaltendes Wachstum nach der Coronakrise zu sichern, ist es entscheidend, dass die Angebotsseite ausreichend sensitiv auf eine steigende Nachfrage reagiert. Auch stellt sich die Frage, ob bei einer anhaltenden Flaute und kaum spürbaren Aufholeffekten eine Stimulierung der lokalen Nachfrage nicht doch eine Handlungsoption für die EU darstellt. Oder wird solch eine Initiative vor allem zu Inflation und Importwachstum führen und somit eher verpuffen?
Empirische Schätzungen für die Zeit vor der Finanzkrise betonen die Bedeutung der Binnennachfrage für das BIP-Wachstum der Euro-Zone. Diese Bedeutung hat sich allerdings seit der Finanzkrise deutlich reduziert. Nach der Finanzkrise war die Exportnachfrage ein wichtiger Wachstumstreiber. Da Deutschland vor und nach der Finanzkrise von 2009 eine bedeutende Exportnation war, sind die empirischen Schätzungen über den Einfluss der Binnennachfrage auf das deutsche Wirtschaftswachstum relativ stabil. Entscheidend ist jedoch, dass für Deutschland und die Euro-Zone die Empfindlichkeit des Wirtschaftswachstums auf die Nachfrage direkt nach der Finanzkrise deutlich höher ausfiel. Eine effektive Nachfragestimulierung kann demnach in einer Aufholphase bedeutende Wachstumsimpulse liefern. Ein eskalierendes Inflationsrisiko ist hingegen selbst bei einer stark anziehenden Nachfrage bzw. kräftigen Nachfragestimulierung nicht zu erwarten. Dient die Finanzkrise als Beispiel, wird die Angebotsseite und damit das Wachstum auf eine sich normalisierende Nachfrage ausreichend reagieren. Es wird nicht zu einem zunehmenden Inflationsdruck kommen.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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