[Kapitalmarkt-News vom 14. September 2021]

Fazit: Wie frühere Krisen induziert auch die Corona-Krise Veränderungen, die bedeutende Verteilungseffekte für einzelne Wirtschaftsbereiche mit sich bringen. Technologische Wandel – wie aktuell die Digitalisierung – kann sich beschleunigen und wachstumsfördernd wirken. Grundsätzlich ist infolge einer Krise jedoch mit einer erhöhten Risikoaversion zu rechnen, was Investitionen und damit das Wachstumspotenzial einer Wirtschaft belasten könnte. Auch aktuell scheint die Krise in Erwartungen und Risikoeinschätzungen der volkswirtschaftlichen Akteure fest verankert zu sein. Der fehlende Befreiungsschlag von der Corona-Pandemie und die jüngsten Erfahrungen aus der Finanz- und Euro-Schuldenkrise verstärken diese Entwicklung. So zeigt das deutsche Investitionsverhalten nicht die Resilienz gegenüber Krisen, wie es gerade mit Blick auf Wachstum notwendig wäre. Die Notwendigkeit einer investitionsfreundlichen Wirtschaftspolitik wird immer deutlicher.

Ernüchterung macht sich breit

Zwar wirkt die steigende Impfquote und verhindert viele schwere Erkrankungen. Der erwartete Erfolg bleibt aber dennoch aus. Zu Jahresanfang wurde noch davon ausgegangen, dass mit einer hohen Impfquote der Infektionsverlauf unter Kontrolle gebracht wird und der Corona-Virus nur noch wie eine Grippe wirkt. Die Hoffnung war, das Thema, welches Wirtschaft wie Gesellschaft im Jahr 2020 entscheidend geprägt hatte, abgehakt werden kann – zumindest was das Gesamtbild angeht. 2021 sollte der Befreiungsschlag für die Psyche der Gesellschaft, des Unternehmers aber auch des Konsumenten gelingen. Aufgrund dessen wurde auch eine deutliche Ausweitung der Konsum- und Investitionsausgaben erwartet. Dies ist bis dato aber nicht eingetreten. Die Inzidenzzahlen steigen weltweit erneut, und insbesondere die Zahlen in Israel, das als Vorbild für eine erfolgreiche Impfkampagne gegolten hatte, sorgen für Ernüchterung. Auch in Deutschland scheint die vierte Welle bereits in Gang zu sein. Dementsprechend werden BIP-Wachstumsprognosen für das dritte und insbesondere das vierte Quartal 2021 nach unten angepasst. Die Wirtschaft steht zwar vor keiner Rezession. Eine spürbare und vor allem perspektivisch anhaltend hohe Wachstumsdynamik wird allerdings nun nicht mehr erwartet.

Vielleicht muss die Impfquote für eine effektive Herdenimmunität deutlich höher ausfallen, als es aktuell der Fall ist; vielleicht wird auch eine dritte Impfung wegen der Delta-Variante notwendig. Was immer auch Erklärungen bzw. notwendige Schritte sein mögen, die Folgen sind eindeutig: Der Einfluss der Corona-Pandemie hat auf das gesellschaftliche wie wirtschaftliche Leben zunehmend einen strukturellen und damit nachhaltigen Einfluss. So festigen sich in vielen Branchen die durch Corona-induzierten Veränderungen. Die Folgen für den stationären Einzelhandel sowie dem Gastgewerbe oder anderen kontaktintensiven Dienstleistungsbranchen sind Beispiele hierfür. Entscheidend für die Gesamtwirtschaft ist aber vor allem die Risikoeinschätzung. Ein verändertes Konsumentenverhalten induziert Wachstumsunterschiede bei den Branchen, beeinflusst nicht aber vorrangig das Potenzialwachstum. So mag eine Krise durchaus wachstumsfördernd wirken, da sie die Neuausrichtung von Kapital und den Einsatz neuer Technologien beschleunigen kann. Bei einer grundsätzlich höheren Risikoeinschätzung dürfte dagegen die Bereitschaft, zu investieren, eher gering ausfallen, was unweigerlich den Kapitalbestand belastet und so das Potenzialwachstum dämpft. Dies ist nicht unbedingt nur eine Folge der Corona-Pandemie, sondern generell eine von unvorhergesehenen Ereignissen, die die Fundamente von Vertrauen und belastbaren Einschätzungen erodiert. 

Krisen führen zu Narben bei der Risikoeinschätzung, …

Die Finanz- und Euro-Krise haben die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen bzw. Vertrauen in langfristiges, planbares Wachstum verändert. Steigende Schuldenquoten, Rekorddefizite und eine Notenbank in anhaltendem Krisenmodus belasten den Ausblick zusätzlich, da an der Nachhaltigkeit mancher dieser Entwicklungen gezweifelt werden kann. Bereits diese Krisen haben einen langfristigen Einfluss auf die Risikoeinschätzung volkswirtschaftlicher Akteure. Markus Brunnermeier spricht in seinem jüngsten Buch von Narbenbildung aus Krisen. Sprich: Auch wenn die Fiskal- wie Geldpolitik den konjunkturellen Einbruch überbrücken und so eine schnelle Rückkehr zur alten Normalität versuchen sicherstellen, besteht dennoch die Gefahr einer nachhaltigen Veränderung oder Narbenbildung – vor allem wenn eine starke Risikoaversion besteht. Die Corona-Krise verstärkt somit eine zunehmende Abneigung ggb. Risiko und damit den Kapitalabbau. Zum einen, weil es die dritte Krise für die Euro-Zone in rund 15 Jahren ist, was zu einer strukturell höheren Risikoaversion geführt hat. Zum anderen, weil die Krise immer noch nicht abgehakt werden kann – weder in der Psyche noch in der wirtschaftlichen Realität von Unternehmen und Konsumenten.

Negative Überraschungen haben die Gewohnheit im Gedächtnis zu bleiben. So ergibt sich eine strukturell und nicht nur kurzfristig höhere Risikoaversion, was die Gefahr eines langfristig niedrigeren Wachstums mit sich bringt. Dies mag sicherlich durch eine ausreichend wirksame Krisenpolitik abgemildert werden. Fiskalische Nachfragestimulierung, Liquiditätsgarantien, Kurzarbeitergeld und temporäres Aussetzen der Insolvenzantragspflicht waren deshalb grundsätzlich richtige Schritte, auch wenn sie strukturelle Neuausrichtungen in manchen Branchen verzögern mag. Schließlich heißt es, zu verhindern, dass das Potenzialwachstum infolge strukturell höherer Arbeitslosigkeit, Abbau von menschlichem Kapital (Langzeitarbeitslosigkeit) sowie weniger dynamische Investitionen in Kapazitätsausweitung und neue Technologien sinkt.

… deshalb muss man kleckern und nicht glotzen

Mangels eines weiterhin ausbleibenden Befreiungsschlags bzgl. der Corona-Pandemie festigt sich nun eine erhöhte Risikoaversion, die zu einer grundsätzlich niedrigeren Risikobereitschaft und damit Investitionsaktivität in der Realwirtschaft führen kann. So wird auch die Bezeichnung von Corona als Krise immer weniger bedeutend, da es sich um die Festigung von neuen Realitäten handelt. Zwar ist Risiko immer teil des unternehmerischen Daseins. Doch Krisen verursachen eine überzogene Wahrnehmung, was zu einem defensiven oder reaktiven Investitionsverhalten sorgt. Dies wiederum belastet nicht nur Wachstum, sondern auch den nötigen Transformationsprozess der Wirtschaft hinsichtlich der gesteckten Klimaziele. So mag Corona ein positiver Katalysator für viele neue Technologien sein, etwas was auch durch den EU-Wiederaufbaufonds unterstütz wird. Ist jedoch die Risikobereitschaft für Investitionen und Veränderung beeinträchtigt, wird diese Transformation nur beschwerlich vorankommen. (s. auch IKB-Kapitalmarkt-News 15. März 2021).

Das Gefahr von Narbenbildungen bestätigt die Notwenigkeit, mit Hilfe von Fiskal- und Geldpolitik alles daran zu setzen, die Krise aus der Meinungsbildung wirtschaftlicher Akteur zu verdrängen. Dies heißt aber auch, dass die Geld- und Fiskalpolitik selbst zu einem Punkt kommen muss, wo sie Abschied von ihrer Krisenpolitik nimmt. Dies ist allerdings nur mit nachhaltigem Wachstum möglich. Deshalb sind nicht nur Krisenpakete notwendig, sondern auch eine Politik ist gefordert, die über Jahre die Wirtschaft stärkt und die Grundlage für Wachstum, Vertrauen und damit kräftigen privaten Investitionen sicherstellt. Die Sorge einer erhöhten Staatseinmischung aufgrund von Krisen ist hingegen unangebracht. Denn es heißt, Vertrauen aufzubauen und die Risikoaversion zu mildern, damit private Akteure perspektivisch die Wachstumsdynamik wieder ausreichend bestimmen können. Der EU-Wiederaufbaufonds und nicht- fiskalisch Konsolidierung, muss daher im Fokus der Wirtschaftspolitik der kommenden Jahre stehen. Nach drei Krisen in 12 Jahren und Folgen, die alles andere als abgearbeitet sind, bedarf es einer großen Anstrengung, um der Risikoaversion und ihren Folgen entscheidend entgegenzuwirken. 

Was lässt sich empirisch bestätigen?

Ist eine Narbenbildung in der deutschen Investitionsdynamik bzw. eine Zurückhaltung im deutschen Investitionsverhalten zu erkennen? Die Investitionsquote (Ausrüstungsinvestitionen in Relation zum BIP) in Deutschland zeigt grundsätzlich einen positiven Trend. Lag die Quote bei rund 5,5 % Anfang der 90er Jahre, ist sie auf über 7 % vor der Corona-Pandemie angestiegen. Es handelt sich also um eine relativ flachen, aber statistisch bedeutenden positiven Trend. Auch sind zwischen 1990 und 2010 klare Investitionszyklen zu erkennen – also Phasen, in denen die Quote steigt, und Investitionen bzw. Investitionsvertrauen das allgemeine Wachstum treiben; gefolgt von Phasen, in denen sich Euphorie und überzogener Optimismus relativieren.

Diese deutlichen Investitionszyklen finden jedoch mit der Finanzkrise ihr Ende. Ein Investitionsquote von rund 7,5 % wie im Jahr 2008 wurde zudem nie mehr erreicht. So ist seit 2009 kein ausgeprägter Investitionsboom zu erkennen. In dieser Phase lag auch das allgemeine Wachstum deutlich niedriger. Sicherlich haben die drei letzten Krisen das Wachstum massiv belastet. Fehlendes Vertrauen und damit mangelnde Investitionen haben diese schwache Dynamik gestützt. Abb. 2 zeigt somit ein verändertes Investitionsverhalten mit Eintritt der Finanzkrise. Narben im Investitionsverhalten haben sich somit gebildet, die nun auch durch die Corona Pandemie tiefer werden. Auch das niedrige Zinsniveau für Unternehmenskredite haben zu keiner höheren Investitionsquote geführt.

Die Corona-Pandemie hat zu einer stark negativen Trendabweichung der Investitionsquote geführt, wie sie früher nur nach Boomphasen zu erkennen war. Eine Abflachung des Trends ist demnach zu erwarten, verstärkt durch die Dauer der aktuellen Krise. Dies gilt vor allem, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Investitionen nicht aktiv verbessert werden, um der starken Risikoaversion entgegenzuwirken. Dies heißt im aktuellen Umfeld vor allem eine erhöhte Sicherheit bzgl. der Rahmenbedingungen und Rentabilitätserwartungen für den Produktionsstandort Deutschland zu schaffen. Plädoyers für einen höheren Mindestlohn oder Steueranhebungen sind hingegen kontraproduktiv, gerade weil ein zunehmender Lohndruck infolge des Inflationsanstiegs im Jahr 2021 bereits für erhöhte Planungsunsicherheit im Jahr 2022/23 sorgen sollte (s. auch IKB-Kapitalmarkt-News vom 24. August 2021).

Vorgeschlagene Literatur: Brunnermeier, Markus K., 2021. Die Resiliente Gesellschaft

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