[IKB-Kapitalmarkt-News vom 12. April 2018] Die Bedeutung Chinas wird im Kontext der globalen Konjunkturdynamik immer wieder hervorgehoben, vor allem seit der Finanzkrise, als die chinesische Volkswirtschaft eine wichtige Säule des globalen Wachstums war. China liefert nun schon länger einen stabilen Wachstumsbeitrag zum Welt-BIP von rund 1,2 Prozentpunkten pro Jahr und trägt somit rund ein Drittel des Weltwachstums. Angesichts dieser enormen Bedeutung wird immer wieder auf Risiken hingewiesen, die mit einer möglichen Wachstumsverlangsamung der chinesischen Wirtschaft einhergehen könnten. In diesem Zusammenhang werden vor allem die hohe Investitionsquote, eine steigende Schuldendynamik, aber auch die Furcht vor einen bevorstehenden Immobiliencrash erwähnt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Einfluss Chinas auf die Weltwirtschaft deutlich größer bzw. dynamischer ist, als dies alleine durch seinen Wachstumsbeitrag angedeutet wird.
Höhere Wertschöpfung
Am Anfang der chinesischen Entwicklungsphase und vor allem unter Deng Xiaoping, der die Öffnung Chinas vorantrieb, lag der Fokus auf dem Zugang zu globalen Märkten, um Chinas Industrieproduktion und Industrialisierung zu fördern. Damals musste das Land die Handelspraktiken und Konsumpräferenzen der globalen Konsumenten akzeptieren bzw. für sich nutzen, um Marktanteile zu gewinnen. Dies gelang oftmals und vor allem zu Anfang nur über den Preis. China konnte aufgrund seiner niedrigen Lohnkosten und der Konzentration auf Güter geringer Wertschöpfung – auch dank einer unterbewerteten Währung – deutliche Markanteile erringen. Davon profitiert hat der globale Konsument; die Kaufkraft und damit der Lebensstandard, vor allem in Ländern mit einem Leistungsbilanzdefizit wie die USA, verbesserten sich. Für China ergab sich ein wachsender Leistungsbilanzüberschuss, Devisenreserven weiteten sich aus. Doch inzwischen ist die chinesische Industrieproduktion nicht nur wichtige Komponente für die globale Lieferung von billigen Industriegütern, sondern sie entwickelt sich auch zu einem bedeutenden Konkurrenten in vielen Branchen mit höherer Wertschöpfung.
So hat sich China von einer eher passiven Rolle hin zu einer Industrienation entwickelt, die mehr und mehr Einfluss auf Preise und technologische Trends nimmt. Haben Branchen der höheren Wertschöpfung (Pharma, Elektrotechnik, Maschinen- und Fahrzeugbau) im Jahr 2000 noch rund 29 % der gesamten Wertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes in China ausgemacht, so lag ihr Beitrag im Jahr 2014 bei fast 36 %. Gleichzeig ist der Wertschöpfungsanteil innerhalb dieser Branchen zurückgegangen. Dies ist jedoch nicht auf zunehmende Importe zurückzuführen, was auf eine globale Spezialisierung hindeuten würde, denn die Importquoten sind ebenfalls gesunken. Es liegt eher an dem steigenden Anteil der lokalen produzierten Vorleistungsgüter, was Indiz für eine zunehmende Spezialisierung ist. So hat sich die chinesische Leistungsbilanz nach den Jahren des WTO-Beitritts und vor allem seit 2010 deutlich stabilisiert und lag 2017 bei 1,8 % des BIP (2008: 9,1 %, 2010: 3,9 %). Seit dieser Zeit hat die chinesische Industrieproduktion allerdings um rund 80 % zugenommen. Die Zeiten der Industrialisierung durch billige Exporte scheinen schon länger vorbei zu sein.
Chinesischer Konsum hat noch Aufholbedarf
Die hohe Investitionsquote gibt schon länger Anlass zur Sorge, denn viele Beobachter zweifeln an der Nachhaltigkeit des chinesischen Wachstums. Die höhere und sich ständig wandelnde Wertschöpfung deutet jedoch an, dass die Furcht vor Fehlinvestitionen zumindest in der chinesischen Industrie nicht unbedingt angebracht ist. Allerdings braucht es für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in China eine höhere Konsumquote. Noch ist der private Konsum, absolut gesehen, deutlich geringer als der in den USA oder in der Euro-Zone. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis die chinesischen Konsumenten ein bedeutender Treiber der Weltwirtschaft sein werden. Mit steigenden Konsumausgaben und höherer Wertschöpfung erhöht sich die Fähigkeit Chinas, nationale Interessen verstärkt international durchzusetzen. Denn China wird auf der Angebots- und Nachfrageseite ein immer bedeutenderer Wirtschaftsakteur. Angesichts der Handelspolitik des aktuellen US-Präsidenten mag solch eine Entwicklung durchaus zu einem Gleichgewicht beitragen.
Früher war Chinas Wirtschaft abhängig von globalen Konsumenten und konnte sich nicht den Luxus leisten, auf die Produktionsbedingungen im eigenen Land zu schauen. Mittlerweile diktiert das Reich der Mitte verstärkt die Rahmenbedingungen seiner und damit auch der globalen Produktion. Neue, strengere Standards für den Umweltschutz sind dafür ein Beispiel. Manchmal wird dies als Versuch interpretiert, die Wettbewerbsfähigkeit vor allem von ausländischen Unternehmen zu behindern. Doch grundsätzlich hat China inzwischen eine Bedeutung erlangt, die es dem Land erlauben, eigene Regeln aufzustellen bzw. lokale Interessen in den Vordergrund zu stellen. Durch die hohen Direktinvestitionen auch von deutschen Produzenten erhält die chinesische Wirtschaftspolitik auch zunehmenden Einfluss auf die Angebotsseite vieler deutscher Unternehmen. Aus diesem Grund bleibt es wichtig, Handelsbeziehungen mit China zu festigen, die auf die Wahrung der Eigentumsrechte fokussieren.
Fazit
Die Bedeutung Chinas für die Weltwirtschaft ist noch deutlich größer als das seit Jahren auf hohem Niveau verharrende chinesische Wirtschaftswachstum signalisiert. Die chinesische Wirtschaft hat sich schon länger vom Status des Billigproduzenten verabschiedet und bestimmt durch ihre höhere Wertschöpfung und ihre zunehmende Konsumkaufkraft zunehmend technologische Trends, Konsumpräferenzen und Abkommen auf globaler Ebene. Dies mag bei manchen Beobachtern für Skepsis sorgen, kann sich allerdings auch als notwendiges Gleichgewicht in der wirtschaftlichen Weltordnung erweisen.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen.
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