[Kapitalmarkt-News vom 31. August 2023]
Fazit: Viele der von den USA aufgeführten Gründe für Spannungen mit China basieren auf subjektiven Einschätzungen. So ist das Handelsbilanzdefizit der USA zwar sicherlich auch eine Folge des ambitionierten chinesischen Exportwachstums. Eine andere bedeutende Ursache ist aber die niedrige US-Sparquote. Seine alternde Bevölkerung sowie die zunehmend reife Industrialisierung nötigen China, Wachstum durch höhere Wertschöpfung sicherzustellen. Dies wird notwendigerweise den Wettbewerb zwischen China und hochindustrialisierten Nationen erhöhen und hat weniger mit politischen Vormachtambitionen zu tun.
Der sich verschärfende Konflikt mit den westlichen Ländern unterläuft jedoch dieses Bestreben Chinas nach höherer Wertschöpfung. Angesichts der wirtschaftlichen Vernetzung sind die Spannungen zwischen den USA und China jedoch ein Risiko nicht nur für die direkt Beteiligten, sondern für die gesamte Weltwirtschaft. Mit Blick auf den US-Präsidentschaftswahlkampf dürfte die Auseinandersetzung zudem an Schärfe zunehmen. Aber auch danach ist kaum mit einer Entspannung zu rechnen.
Die Nachrichten aus China sind weiterhin bedrückend. Konjunkturdaten deuten auf eine Abkühlung der Wirtschaft. Und strukturelle Herausforderungen wie der kriselnde Immobilienmarkt sorgen zunehmend für Zweifel am mittelfristigen Wachstumspfad. Die Zeiten, in denen die kräftige chinesische Dynamik als selbstverständlich angesehen werden konnte, scheinen definitiv vorbei zu sein. Erschwerend hinzu kommt die Zuspitzung des US-Präsidentschaftswahlkampf, bei dem beide Lager – Demokraten wie Republikaner – versuchen, China für viele hausgemachte Probleme der US-Wirtschaft verantwortlich zu machen und damit bei den US-Wählern punkten wollen. Dies mag aus politischer Sicht nachvollziehbar sein, schließlich will man sich als Beschützer von Arbeitnehmern und Eigentumsrechten in den USA positionieren.
Perspektivisch führt diese Konfrontation jedoch nicht weiter. Fakt ist, die US-Konsumenten profitierten in den letzten Jahren von den geringen Löhnen und dem hohen Arbeitseinsatz in China. Die Amerikaner erhöhten ihren Lebensstandard und konnten mehr konsumieren, was sich im Handelsbilanzdefizit mit China spiegelt.
Wie Japan Anfang der 80er Jahre scheint nun China für viele US-Probleme verantwortlich gemacht zu werden. So ist das amerikanische Handelsdefizit auch und vor allem Folge einer zu niedrigen US-Sparquote. Zudem sollte das Defizit im Kontext des dadurch erreichten Lebensstandards der US-Bürger eher positiv gesehen werden. China wird als Bedrohung der amerikanischen Gesellschaft wahrgenommen, obwohl es insbesondere China war, das den Traum einer besseren und über dem Potenzial der Wirtschaft liegenden Lebensqualität in den USA ermöglicht hat. Doch das Handelsdefizit wird stattdessen aus amerikanischer Sicht als Resultat billiger chinesischer Güterimporte angesehen, die Industrien und Jobs in den USA zerstörten. Kein Thema in den USA sind hingegen das niedrige Produktivitätswachstum und die Notwendigkeit eines größeren Potenzialwachstums sowie einer höheren Sparquote oder alternativ einer Anpassung des Lebensstandards. Mit diesen Themen dürfte sich kaum ein Wahlkampf gewinnen lassen. Mittlerweile ist zwar das Handelsbilanzdefizit mit China infolge der US-Handelspolitik seit der Präsidentschaft Trumps zurückgegangen; Dafür wurde aber das Defizit zwischen den USA und Ländern wie Mexiko, Vietnam, Südkorea und anderen ausgeweitet.
Der WTO-Beitritt Chinas hat einen globalen, deflationären Druck generiert und zu niedrigen Zinsen bzw. einem höheren Lebensstandard bzw. Konsum geführt – vor allem in Ländern, die Billigprodukte aus China importierten. Das steigende Pro-Kopf-Einkommen Chinas hat zudem neue Investitionsmöglichkeiten und Absatzmärkte in China geschaffen, von denen auch Deutschland bisher maßgeblich profitierte.
Die chinesische Regierung muss nun vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung und eines nachlassenden Überschusses an billigen Arbeitskräften ihr Wachstumsmodell anpassen. Anstatt Marktanteile durch den Export von billigen Gütern zu generieren, geht es jetzt darum, in der Wertschöpfungsleiter nach oben zu wandern, dokumentiert in der Strategie „Made in China 2025“. Wettbewerbsvorteile auf Grundlage von technologischem Fortschritt und hoher Wertschöpfung stehen dabei eher im Fokus als solche auf Basis von Preisvorteilen. Dies bedeutet notwendigerweise eine Intensivierung des Wettbewerbs gerade mit fortgeschrittenen Volkswirtschaften, was zunehmend für Unmut sorgt – historisch aber auch von Ländern wie Japan verfolgt wurde. Zusammen mit der kommunistischen Ideologie im politischen China führt das zur Befürchtung westlicher Länder, China könnte ihnen intellektuelle Eigentumsrechte entwenden.
Die US-Regierung interpretiert Chinas Strategie als Versuch, den USA ihre Vorreiterrolle in vielen Technologien durch unfairen Handel streitig zu machen. Diese Interpretation endet dann meist in dem Verdacht, die nationale Sicherheit der USA sei gefährdet, was staatliche Interventionen und Gegenmaßnahmen rechtfertige. Und auch in der EU findet die Haltung Verbreitung, der Zugang Chinas bzw. seine Investitionen in der Industrie müssten im Interesse der nationalen Sicherheit beschränkt werden. Da China keine Demokratie ist und die aktuelle Führung diktatorisch agiert, werden jegliche chinesische Aktionen und Absichten mit Argwohn betrachtet, und Gegenmaßnahmen sind relativ einfach zu rechtfertigen.
So wird hinter jedem chinesischen Investitionsversuch die Intention vermutet, Technologien zu übernehmen bzw. zu kopieren und Eigentumsrechte zu verletzen. Dass technologischer Transfer grundsätzlich ein wichtiger Grund für Investitionsvorhaben von Schwellenländern darstellt, wird nicht berücksichtigt. Der Versuch, Wettbewerb gegen die eigene Industrie und die eigene Vorreiterrolle zu etablieren, wird generell als unfair angesehen. Dabei lassen sich technologische Vorteile kaum effektiv schützen, insbesondere nicht durch Abschottung.
Natürlich ist die Kopie von Eigentumsrechten zu sanktionieren. Doch geht es hier immer um die Rechte oder eher um die Sorge, andere Länder könnten technologisch aufschließen und so die Vormachtstellung der westlichen Industrienationen gefährden bzw. den Wettbewerb intensivieren? Natürlich bietet es sich an, einem Land fragwürdige Methoden zuzuschreiben, dessen Rechtssystem und Werte zweifelhaft sind. Der Versuch Chinas die nächste Entwicklungsstufe zu nehmen, kann somit relativ einfach als Versuch gewertet werden, auf Kosten der USA und der EU-Länder eine Vormachtstellung durch unfairen Handel zu erreichen. Doch wie beim US-Handelsdefizit wird die Verantwortung der USA für diese Entwicklung in der Diskussion heruntergespielt. Dabei haben die USA laut Stephen Roach (2022:110) die staatlichen Forschungsausgaben in den letzten Jahren deutlich heruntergefahren und der Privatsektor hat den Fokus vor allem auf Entwicklung gelegt und nicht auf Forschung, was grundsätzlich auch zu einem seit Jahren sinkenden Produktivitätswachstum geführt hat. Wie beim US-Handelsdefizit soll China auch hierfür verantwortlich sein und für alles herhalten, hausgemachte US-Probleme inklusive.
Insgesamt deuten die aktuellen Entwicklungen wie der US-Wahlkampf oder die Haltung Chinas zum Krieg in der Ukraine auf einen anhaltenden Konflikt bzw. eine weitere Konfrontation hin. Das wird auch das chinesische Entwicklungs- bzw. Wachstumsmodell belasten und so zunehmend die globale Konjunktur beeinträchtigen. Chinas Streben, sich über eine höhere Wertschöpfung zu positionieren und nicht mehr über den Preis, bekommt von der westlichen Welt zunehmend Gegenwind – und zwar auf der Angebots- und Nachfrageseite.
Auf der Angebotsseite werden Unternehmen zunehmend von Politik und Gesellschaft genötigt, ihre Investition in China zurückzufahren. Dies kann sogar so weit gehen, dass Unternehmen Wertschöpfung zurückverlagern. Häufiger ist jedoch, dass Unternehmen ihre Produktion in Drittländer verlagern, die politisch weniger kritisch und aus Kostengründen attraktiv sind. Auf der Nachfrageseite wird ein Bewusstsein vermittelt, „Made in China“ sei mit Vorsicht zu genießen, da das Land lokale Eigentumsrechte ignoriere, Menschenrechte unterdrücke und die dortige Produktion insgesamt ein Schaden für das eigene Land darstelle. Vor allem bei Produkten mit einer höheren Wertschöpfung spielt diese Argumentation eine Rolle. Insgesamt steigt in Folge des chinesischen Entwicklungspfads das Konfrontationspotenzial, da westliche Industrien mehr und mehr im direkten Wettbewerb stehen.
Einschätzung
Der demografische Wandel und die steigenden Lohnkosten machen eine höhere Wertschöpfung und Produktivitätsfortschritte für China unverzichtbar. Aktuell ist China bereits im Vergleich mit asiatischen Billiglohnländer wie Vietnam oder Bangladesch für einige Industrien als Investitionsstandort nicht mehr attraktiv. Eine Eskalation zwischen China und der restlichen Welt wird jedoch den Reifeprozess Chinas verzögern und auch das Wachstumsmodell belasten. Der mittelfristige Wachstumspfad Chinas ist also nicht nur aufgrund der schon länger bekannten strukturellen Herausforderungen unsicher – Beispiele sind der aufgeblasene Immobiliensektor und die hohe private Verschuldung –, auch die USA und die EU legen China Steine in den Weg.
Kurzfristige Alternativen zum chinesischen Wachstumsbeitrag für die Weltwirtschaft gibt es kaum. Weder auf der Angebots- noch auf der Nachfrageseite gibt es ein Land, das den Wachstumsbeitrag Chinas erreichen könnte. Und auch wenn China deutlich langsamer wächst, ist sein Wachstumsbeitrag für die Weltwirtschaft dank seiner Größe immer noch bedeutend. Zudem hat die Vernetzung der chinesischen Wirtschaft mit der Weltwirtschaft deutlich zugenommen. Es mag argumentiert werden, der Druck auf China und damit das Unterlaufen seines Wachstumsmodells zwinge das Land zu Reformen. Der potenzielle Schaden für die Weltwirtschaft ist allerdings enorm. Auch besteht die Gefahr einer zunehmenden Blockbildung. 40 % der Weltbevölkerung leben in den BRICS-Ländern, die mit Indien eine oft genannte Alternative zu China aufweisen. Der eingeschlagene Weg gegenüber China wird also zu mehr Polarisierung, politischen Spannungen und weltweit niedrigerem Wirtschaftswachstum führen.
Literatur
Roach, Stephen 2022: Accidental Conflict. America, China, and the Clash of False Narratives, Yale University Press
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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