[Industrials, Mobility & Construction-Information vom 23. Mai 2024]
Bis Ende der 2020er Jahre kann auf Basis der aktuellen Gussprognose der IKB mit einer Steigerung der Tonnage der globalen Gießerei-Industrie gerechnet werden. Allerdings sind bei den Wachstumsraten regional deutliche Unterschiede zu erwarten. Hohe Unsicherheiten gehen besonders von den geopolitischen Entwicklungen in Osteuropa und Asien aus.
Konjunkturabkühlung und Energiepreise belasten aktuell europäische und deutsche Produktion
Kurzfristig belasten die konjunkturelle Entwicklung und die weiterhin hohen Energiekosten die deutsche Gießerei-Industrie. Produktion und Auftragseingänge dürften im Branchendurchschnitt im laufenden Kalenderjahr deutlich unter Vorjahresniveau liegen. Anzeichen einer leichten, sukzessiven Verbesserung der Lage lieferte zuletzt die Sentimenterhebung des europäischen Branchenverbands CAEF, die im März 2024 den dritten Monat in Folge einen Anstieg des Indikators verzeichnete.
Mittel- und langfristige Branchentrends liefern Impulse
In Abhängigkeit vom Produktspektrum bzw. den Abnehmerbranchen gestalten sich die Chancen und Herausforderungen der Gießerei-Indstrie heterogen. Die Automobilproduktion wird nach der jüngsten Erholung mittel- und langfristig in Europa und Nordamerika nur noch geringfügig wachsen, trotzdem aber ein relevanter Absatzmarkt für Gussprodukte bleiben. Dies gilt mittelfristig gerade auch für den Eisen- und Stahlguss aufgrund des in Europa offensichtlich langsamer als erwartet stattfindenden Hochlaufs der Elektromobilität. Stärkere Impulse sind aus dem Nutzfahrzeugmarkt aufgrund anstehender Flottenmodernisierungen zu erwarten. Eine Sonderkonjunktur wird für Nordamerika in den Jahren 2025 und 2026 für alle Nutzfahrzeugklassen über 6,5 t aufgrund der deutlich strengeren Abgasnormen der EPA ab dem Modelljahr 2027 erwartet. Insgesamt wird der Aluminiumguss mit dem Hochlauf der E-Mobilität und dem Trend zum Leichtbau weiter an Bedeutung gewinnen. Im globalen Maschinenbau ist bis 2030 mit einem starken Anstieg der Umsätze zu rechnen. Wichtige Impulse liefern die fortschreitende Digitalisierung und die damit verbundene Notwendigkeit zur Modernisierung des Maschinenparks. Auch die globale Bauwirtschaft bleibt langfristig auf Wachstumskurs, speziell Infrastrukturprojekte sind hier der wesentliche Treiber. Für die Nachfrage aus dem Energiesektor liefert insbesondere in Europa der geplante Ausbau der Windenergie Impulse.
Gussprognose abhängig von Datenlage sowie geopolitischen und technologischen Annahmen
Bislang bauten die Prognosen der IKB für die globale Gießereiindustrie auf den einmal jährlich publizierten Daten des Modern Casting Census auf. Allerdings wurden die Produktionsdaten für das Jahr 2022 entgegen dem historischen Turnus bis Mitte April 2024 noch nicht publiziert. Aus diesem Grund sind die der Prognose zugrundeliegenden Zahlen für das Jahr 2022 teilweise noch Schätzungen bzw. basieren auf rudimentären Pressehinweisen. Insofern hat die aktuelle Gussprognose vorläufigen Charakter und könnte, falls sich bei Publikation eines aktuellen Modern Casting Census ein anderes Gesamtbild in Bezug auf die historischen Produktionsdaten ergeben sollte, noch einmal adjustiert werden.
Zu den geopolitischen Annahmen zählt, dass der Russland-Ukraine-Krieg innerhalb der nächsten zwei Jahre zu Ende geht, dass die aktuellen Konflikte im Nahen Osten sich nicht auf weitere Nachbarstaaten ausweiten bzw. im Gazastreifen bis Mitte 2025 beendet sind und dass keine neuen Konflikte in Asien mit internationaler Tragweite ausbrechen.
Der Einfluss der im Absatz Branchentrends angerissenen technologischen Entwicklungen im Bereich der E-Mobilität, des Maschinenbaus und der Energiewirtschaft auf die prognostizierten Produktionszahlen basiert auf aktuellen Kapazitäten und Lieferketten. Geopolitische Entwicklungen, verstärkte Resilienzbestrebungen der EU in Verbindung mit industriepolitischen Programmen wie dem IRA in den USA können daher zu regionalen Verschiebungen in den prognostizierten Produktionszahlen führen.
Globaler Eisen- und Sphäroguss: gegenläufige Entwicklungen
Im Jahr 2020 war im Zuge der Corona-Pandemie ein starker Rückgang der Produktion von Eisenguss zu verzeichnen, bis 2022 konnten nur wenige Regionen das Niveau von 2018 wieder erreichen. China konnte seine beherrschende Stellung kurzfristig noch ausbauen, wird langfristig aber durch eine geringere Nachfrage aus dem Bausektor belastet. Auch Japan und Korea werden Marktanteile verlieren. Das übrige Asien wird sich, wie der Rest der Welt, durchschnittlich entwickeln. Dabei verzeichnet Indien, das einen hohen Bedarf an Infrastrukturinvestitionen hat, ein stärkeres Wachstum; Vietnam und Indonesien folgen in den nächsten Jahren. Innerhalb Europas erwarten wir ein stärkeres Wachstum in den osteuropäischen Ländern einschließlich der Türkei, welches aktuell noch durch Russlands Krieg in der Ukraine belastet wird. Spanien könnte mittelfristig vom Boom der Windenergie profitieren.
Aluminium-Guss: Trend zum Leichtbau ist wesentlicher globaler Treiber
Der Trend zum Leichtbau im Automobilsektor und anderen Anwendungsbereichen führt zu steigender Nachfrage und Materialsubstitution und bietet somit sehr gute Zukunftschancen für Aluminiumguss. Hierbei wird China seine dominierende Marktposition weiter ausbauen. In der NAFTA dürfte Mexiko mittelfristig mehr Wachstum erzielen. Innerhalb Westeuropas wurden im Jahr 2023 u. a. in Deutschland positive Impulse durch die Erholung der Automobilindustrie von der konjunkturellen Entwicklung, insbesondere von Auftragseinbrüchen aus dem Maschinenbau, überlagert. Die Türkei und einige osteuropäische Länder (z. B. Rumänien, Slowakei, Ungarn) profitieren von Greenfield-Investitionen westeuropäischer Gießereien für Gussprodukte für Leichtfahrzeuge, sodass mittelfristig insgesamt gute Wachstumsaussichten für Aluminium-Guss in Europa bestehen.
Fazit: Chancen und Herausforderungen sind vielfältig
Weiterhin wirken hohe Energiekosten in Europa und vor allem in Deutschland belastend für die Gießerei-Industrie. Der Weg zur angestrebten Klimaneutralität bedeutet hohe Investitionsnotwendigkeiten für die Industrie, aber auch Nachfrageimpulse aus dem Energiesektor. Die fortschreitende Digitalisierung und Entwicklung von KI bringen sowohl technologische Herausforderungen als auch Chancen im Absatz mit sich. Teilweise verlagert sich die Abnehmerindustrie in andere Regionen, aber eine Reihe neuer Märkte, insbesondere in Asien, bietet auch neue Absatzchancen wie zum Beispiel Vietnam, Thailand und vor allem auch Indonesien. Allerdings sehen wir in diesen Ländern auch das Erstarken neuer Wettbewerber, welche langfristig auch auf europäischen Absatzmärkten zur Konkurrenz werden könnten. In der Konsequenz besteht für deutsche Gießereien umso mehr die Notwendigkeit, das wirtschaftliche Eigenkapital weiter zu stärken und Strategien zur Reduzierung des Energie- und Ressouceneinsatzes konsequent weiterzuentwickeln sowie qualifiziertes Personal langfristig zu binden.
Dennis Rheinsberg ist Direktor und Head des Sektorteams Energy, Utilities & Resources. Dort ist er verantwortlich für die Bereiche Energie, Rohstoffe und Metalle und involviert in Projekt- und Unternehmensfinanzierungs- sowie Corporate Finance-Transaktionen der Bank. Zu den von ihm betreuten Unternehmen gehören insbesondere Projektentwickler und Investoren in Erneuerbare Energien sowie die metallerzeugende und -verarbeitende Industrie. Nach dem Studium der Volkswirtschaft an der Universität zu Köln hat er seine ersten sechs Berufsjahre als Unternehmensberater absolviert, bevor er 2011 zur IKB stieß.
Hinterlasse einen Kommentar