[Consumer & Retail-Information vom 26. November 2020] Die konjunktursensitive Büromöbelindustrie war in der zweiten Jahreshälfte 2019 mit rückläufigen Auftragseingängen im Inland und aus wichtigen Auslandsmärkten konfrontiert. Investitionsprojekte wurden teilweise zeitlich geschoben, im Volumen reduziert oder gänzlich gestoppt. In Summe schloss die deutsche Büromöbelindustrie das Gesamtjahr 2019 nach Zahlen des IBA (Industrieverband Büro und Arbeitswelt) lediglich mit einem moderaten Umsatzminus von ca. -1 % ab, wobei der Rückgang im Export bei annähernd -6 % lag.
Waren die Vorzeichen für den Start in das Jahr 2020 also durchwachsen, brachte die Corona-Pandemie der deutschen Wirtschaft ab dem Frühjahr einen Rückschlag, den die Volkswirte der IKB für das Gesamtjahr mit einem Minus beim BIP von -5,5 % beziffern. Für die Euro-Zone liegt die aktuelle BIP-Prognose bei -7,1 %, für Großbritannien sogar bei -11,2 %. Die europäischen Büromöbelmärkte reagierten unverzüglich. Im Ergebnis lag der Umsatz der deutschen Büromöbelhersteller bis August um
12,3% unter Vorjahresniveau (Inland: -11,2 %, Ausland: -16,6 %). Für das Gesamtjahr 2020 erwartet die IKB ein Umsatzminus in gleicher Größenordnung.
Worauf muss sich die Branche einstellen?
Die Arbeitswelt, respektive die der Büroarbeitsplätze wird sich auch nach Bewältigung der akuten Corona-Pandemie signifikant verändern. Unter dem Strich wird es eine nachhaltige Verlagerung der Berufstätigkeit zum sogenannten Remote Working bzw. in das Homeoffice geben. Dazu gehört auch eine deutliche Flexibilisierung der Arbeitsgestaltung. Die technischen Möglichkeiten sind gegeben und Unternehmen bzw. öffentliche Verwaltungen antizipieren als lernende Organisationen sehr schnell die bestehenden Chancen und Herausforderungen dieser Entwicklung.
Corona wirkt auch hier als klarer Trendbeschleuniger. Die Transformation wird sich über einen längeren Zeitraum ziehen, da arbeits- und versicherungsrechtliche Fragen zu klären sind, technische Regulierungen umgesetzt sowie die flächendeckende digitale Infrastruktur ausgebaut werden müssen. Zudem existieren Mietverträge für Büroflächen und organisatorische sowie interne technische Strukturen sind aufzubauen.
NAIapollo hat im September 2020 beispielhaft für den Büromarkt Frankfurt in verschiedene Szenarien berechnet, wie sich der Büroflächenbedarf verändern wird, wenn die beschriebenen Voraussetzungen als gegeben unterstellt werden. Danach würden in der mittleren Variante 20 % der Präsenzbüroarbeitsplätze in Unternehmen und 10 % in öffentlichen Verwaltungen in das Homeoffice verlagert. Dies entspricht 47.000 Büroarbeitsplätzen. Der sich aus den verschiedenen Szenarien ergebende Minderbedarf an Bürofläche liegt zwischen 0,9 Mio. m² (- 8,3 %) und über 2 Mio. m² (-19,8 %). Bezogen auf die Top-6 Büromöbelmärkte in Deutschland geht NAIapollo von vergleichbaren Veränderungen und einer ähnlich hohen Quote bei der Büroflächenbedarfsabnahme (10 bis 14 %) für die kommenden Jahre aus. Über die Metropolen hinaus wird die Entwicklung regional und auch örtlich stark differenziert ausfallen, je nach Unternehmensgrößenstruktur und Branchenmix. Die Richtung wird aber generell die gleiche sein.
Geänderte Anforderungen bieten neue Chancen
Eine Prognose der Investitionsnachfrage bei Büroausstattung ist vor dem Hintergrund der weiterhin bestehenden Unsicherheiten im Pandemieverlauf ausgesprochen schwierig. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Investitionstätigkeit auch bei einer konjunkturellen Erholung im Jahr 2021 nur langsam und zeitverzögert anspringen wird. Die IKB-Volkswirte erwarten im kommenden Jahr ein BIP-Wachstum von +4,4 %. Gleiches gilt für die Absatzmärkte der deutschen Büromöbelindustrie im Ausland (Exportquote im Jahr 2019: 26,4 %). Es wird wahrscheinlich eine Durststrecke für die Büromöbelindustrie bis zum Jahr 2022 geben, die es für die Entwicklung neuer Produktlösungen bzw. zur Arrondierung des bisherigen Angebots zu nutzen gilt.
Strukturelle Nachfrageveränderungen, die sich bereits seit ca. drei bis vier Jahren zeigen und ein entsprechendes Angebot der innovativen deutschen Büromöbelindustrie finden, bleiben oder verstärken sich:
- Erhöhte Anforderungen an ergonomische Arbeitsplätze (z.B. flexible Sitz- und Stehlösungen)
⇒ durch steigende Homeoffice-Anteile nehmen sogenannte „Shared Desk“-Lösungen zu - Steigende Bedeutung von Open Space-Büros/-Arbeitsplätzen
⇒ mobile Stauraumlösungen sorgen für notwendige Flexibilität - Ausbau von Kommunikations- bzw. Loungezonen (z.B. Akustikwände, Soft-Seating-Elemente)
⇒ bei abnehmender Präsenzzeit wird persönlicher Austausch wertvoller - Adäquate Möbelangebote für das Zusammenwachsen von Arbeiten und Wohnen im Homeoffice
⇒ Design, Funktionalität plus Preis
Die deutsche Büromöbelindustrie hat Erfahrung im Umgang mit stark zyklischen Nachfrageentwicklungen, etwa dem Einbruch im Zuge der Finanzkrise, der ein längerer Aufschwung folgte. Fest steht, dass der Umbruch in der Büroarbeitswelt perspektivisch nennenswerte Chancen im In- und Ausland bietet. Innovationsfähigkeit, etablierte Markt- und Wettbewerbspositionen, flexible mittelständische Strukturen sowie oftmals ein stabiler privater Gesellschafterhintergrund sind gute Voraussetzungen für die deutsche Büromöbelindustrie, um das „New Normal“ in der Büroarbeitswelt zu gestalten.
Johannes Sausen ist Direktor und Leiter des Sektorvertriebs der IKB sowie Head of Consumer, Retail, Logistics & Health. Sein persönlicher Branchenschwerpunkt liegt in den Bereichen Consumer Food, ausgewählten Consumer Nonfood-Segmenten sowie im Einzelhandel. Er ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank in den genannten Branchen. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln hat er seine ersten fünf Berufsjahre bei einer Unternehmensberatung absolviert, bevor er 1999 zur IKB stieß.
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