[Consumer & Retail-Information vom 17. Oktober 2019] Wir haben den Sommer 2018 noch gut in Erinnerung: Mehrere Wochen außergewöhnlich hohe Temperaturen und damit verbunden eine überdurchschnittlich starke Nachfrage nach alkoholfreien Getränken (AFG). Die Messlatte für 2019 lag daher sehr hoch. Die aufgelaufenen Zahlen für das erste Halbjahr zeigen mengenmäßig einen Rückgang von ca. 5 % (GfK Consumer Panel FMCG). Dies lag auch an dem temperaturbedingt schlechten Start in das laufende Jahr, den auch ein heißer Frühsommer nicht kompensieren konnte. Das Minus bei den Absatzmengen war in allen Segmenten zu beobachten, konnte aber durch Preissteigerungen auf Umsatzebene fast ausgeglichen werden (-0,9 % gegenüber Vorjahr). Für das Gesamtjahr 2019 erwartet die IKB Deutsche Industriebank AG zwar ein Minus im Konsum, aber nicht auf dem Niveau des ersten Halbjahres, und einen Umsatz in etwa auf Vorjahresniveau.
Die stark witterungsbedingten Entwicklungen 2018 und 2019 überlagern temporär zum Teil strukturelle Veränderungen, die parallel ablaufen und die Getränkebranche in Bewegung halten. Wir sehen hier drei maßgebliche Faktoren: 1. Verschiebungen im Konsum, 2. Änderungen in der Gebindestruktur und 3. das Thema Digitalisierung.
Verschiebungen im Getränkekonsum
Die bestimmenden Trends im Getränkekonsum heißen aus unserer Sicht „regional“, „gesund“ (insbesondere zuckerfrei bzw. zuckerreduziert) und „innovativ“. Je nach Segment und Zielgruppe sind diese unterschiedlich stark. Der Wasserkonsum wird mittelfristig weitgehend stabil bleiben, wobei Regionalität an Bedeutung gewinnt. Fruchtsaft wird weiter an Absatzvolumen verlieren und Schorlen werden „leichter“. Für Hersteller von Süßgetränken ist die Menge an Zucker ein kontroverses Thema. Sport- und Healthdrinks gewinnen weiter, Energydrinks haben hingegen ihren Zenit überschritten.
Aktuelle Kunststoffdiskussion forciert Veränderungen bei Getränkeverpackungen
Die Konsumenten werden zukünftig mehr als bisher Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt (siehe Beitrag vom 26.9.2019 im Corporate Blog der IKB) übernehmen (wollen). Und dies erwarten sie gleichzeitig auch von Handel und Herstellern. Bei AFG betrifft dies insbesondere die Frage der Gebinde:
- Die Nachfrage nach umweltfreundlicheren und nachhaltigeren Verpackungslösungen wird steigen. Hierbei spricht die gesellschaftliche Stimmung (aktuell) eindeutig gegen Kunststoff
- Konsumenten werden ihre Kaufentscheidung pro oder kontra ein bestimmtes Produkt bzw.
eine bestimmte Marke stärker an der Art der Verpackung ausrichten - Bei Convenience-Gebinden steigt die Bedeutung der Getränkedose signifikant
- Im Segment Fruchtsaft wird Karton als Verpackungsart gewinnen, im Premiumsegment Glas
- Das zunehmende Angebot an Getränke-Lieferdiensten erleichtert dem Verbraucher
die Entscheidung pro (Glas-)Mehrweg - Die „neue“ Mehrweg-/Kunststoffdiskussion spielt zudem den Getränkeabholmärkten und dem Getränkefachgroßhandel in die Hände
- Entscheidend wird auch sein, wie sich die LEH-Discounter in der Gebindediskussion positionieren; aktuell verlieren sie mit ihrem Einweg-lastigen Sortiment Marktanteile
Digitalisierung entlang der gesamten Wertschöpfung
Die Digitalisierung ermöglicht Effizienzsteigerungen und das Heben von Synergiepotenzialen von der Getränkeindustrie über die Getränkelogistik bis hin zur Distribution B2B und B2C. Beispiele für die Veränderungsdynamik im Getränkemarkt sind „Team Beverage“ (seit 2016 am Markt und ab 2019 mit einem Online-Marktplatz für die Gastronomie) sowie „kollex“ (seit September 2018; Joint Venture von Coca-Cola, der Bitburger Braugruppe und der Krombacher Brauerei) als digitale Getränkeplattformen. Auf Endverbraucherebene expandieren „flaschenpost.de“ oder „durst.de“ mit dem Angebot von Online-Bestellungen und zeitnaher Lieferung von Getränken (und mehr) an die Haustür. Als Online-Supermarkt, der auch Getränke im Sortiment führt, hat im vergangenen Jahr das niederländische Start-Up „Picnic“ sein Geschäft in Deutschland aufgenommen. Durch die Digitalisierung werden sich in den kommenden Jahren sowohl die Distributionsstrukturen im Getränkemarkt deutlich verändern als auch die Konzentration im Getränkefachgroßhandel weiter steigen.
Die strukturellen Veränderungen wirken wechselseitig und verstärken sich dadurch
Verschiebungen der Nachfrage hin zu höherpreisigen Produkten führen begleitet vom Trend zu nachhaltigerem Konsum dazu, dass Glas-Mehrweggebinde bei AFG zulegen. Parallel verliert der Lebensmitteldiscount (im Status Quo) Anteile als bislang dominierende Einkaufsstätte. Das bewirkt Änderungen im Getränkesortiment – auch auf Basis von Markenlistungen. Die Digitalisierung B2C führt wiederum zu einer stärkeren Marktdurchdringung der neuen digitalen Home-Delivery-Konzepte – und hier mit Schwerpunkt wiederum auf Mehrweggebinde – sowie der Konzentration im Getränkefachgroßhandel durch digitale Vermarktungsplattformen. Die skizzierten strukturellen Veränderungen wirken somit wechselseitig und verstärken sich gegenseitig.
Dem Strukturwandel mit klaren Konzepten begegnen
Es ist wahrscheinlich, dass heiße Sommer und Phasen höherer Getränkenachfrage zukünftig häufiger sind. Zwar sind das für die Getränkewirtschaft isoliert betrachtet grundsätzlich günstige Rahmenbedingungen, die aber keinesfalls dazu verleiten dürfen, notwendige unternehmerische Weichenstellungen für die Zukunft aufzuschieben. Die aktuelle Gebindediskussion bei AFG zeigt, wie massiv sich Veränderungen im Konsumentenverhalten entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Getränkewirtschaft auswirken können. Der Strukturwandel im Markt für alkoholfreie Getränke bietet aber auch Chancen. Veränderungen im Sortiment, bei Verpackungen und durch die Digitalisierung sollten durch klare Konzepte und tragfähige Investitionen (siehe IKB-Vortrag auf der BrauBeviale, Nürnberg am 13.11.2019) begegnet werden.
Johannes Sausen ist Direktor und Leiter des Sektorvertriebs der IKB sowie Head of Consumer, Retail, Logistics & Health. Sein persönlicher Branchenschwerpunkt liegt in den Bereichen Consumer Food, ausgewählten Consumer Nonfood-Segmenten sowie im Einzelhandel. Er ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank in den genannten Branchen. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln hat er seine ersten fünf Berufsjahre bei einer Unternehmensberatung absolviert, bevor er 1999 zur IKB stieß.
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